Im Frühling starb eine Frau aufgrund der rücksichtslosen und riskanten Fahrweise eines anderen Lenkers. Nun wurde er zu neun Monaten (bedinger) Haft und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Warum so wenig, wenn doch ein Mensch gestorben ist?
Wenn durch eine Handlung eines anderen ein Mensch zu Tode kommt, kommen mehrere Delikte in Betracht. Die Anklage in diesem Fall lautete auf grob fahrlässige Tötung, dabei beträgt die maximale Strafdrohung gem § 81 StGB drei Jahre.
Vorsatz oder Fahrlässigkeit?
Mord setzt – wie die meisten Delikte des StGB – vorsätzliches Handeln voraus, während die fahrlässige Tötung ein Fahrlässigkeitsdelikt ist, und damit gerade keinen Vorsatz braucht. Eine Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist in der Praxis jedoch nicht immer einfach.
- Vorsatz liegt nämlich bereits dann vor, wenn man den Eintritt eines Taterfolges für möglich hält und sich damit abfindet. Man spricht dabei von “Eventualvorsatz”, der niedrigsten Vorsatzform.
- Wer sich also denkt “und wenn schon“, und damit in Kauf nimmt, dass etwas passiert, handelt vorsätzlich.
- Ein “hätte wissen müssen” reicht jedoch für das Vorliegen eines Eventualvorsatzes nicht aus. Bei jemanden, der bloß “wissen hätte müssen”, fehlt eben gerade die Wissenskomponente, und was man nicht weiß, kann nicht für möglich gehalten werden.
- Ein fahrlässiger Täter würde denken “es wird schon nichts passieren“. Er hält den Eintritt eines Taterfolges gerade nicht für möglich, er möchte kein Delikt verwirklichen.
Grobe Fahrlässigkeit im aktuellen Fall
Grobe Fahrlässigkeit wird in § 6 Abs 3 StGB normiert:
Grob fahrlässig handelt, wer ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhaltes als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war.
Grob fahrlässig handelt also, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsste, und wenn einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden (OGH 20.11.1996 7 Ob 2083/96s). Laut OGH ist die Außerachtlassung allgemein gültiger Sicherheitsregeln grob fahrlässig, wenn die Kenntnis dieser Regeln nach dem Grad ihrer Verbreitung allgemein vorausgesetzt werden muss. Dabei muss auch die Gefährlichkeit der konkreten Situation berücksichtig werden (OGH 07.11.1985 7 Ob 34/85).
Laut Anklageschrift hat der Fahrer des aktuellen Falles bereits zwei mal sehr riskant und rücksichtslos überholt. Dabei wurde einmal ein Seitenspiegel touchiert, ein weiteres Mal ein anderes Auto gerammt. Dann fuhr er in das Auto des Opfers, wodurch es in einen Bus geschleudert wurde und die Fahrerin starb. Er gab an, dass er die Streifer nicht bemerkt habe, und geglaubt habe, der Überholvorgang gehe sich noch aus. Fraglich ist, wie dieses Verhalten einzuordnen ist.
Aus diesen Angaben kann man schließen, dass es an der oben genannten, für das Vorliegen eines Vorsatzes notwendigen Wissenskomponente mangelt. Der Fahrer hat darauf vertraut, das nichts passiert. Es liegt kein vorsätzliches Handeln vor.
Man könnte einwenden, dass jemand, der durch seine Fahrweise schon zwei Fahrzeuge leicht beschädigt hat, wissen muss, dass er durch sein Handeln ein Tatbild verwirklichen könnte und damit weitere, allenfalls gröbere Schäden in Kauf nimmt. Jedoch – wie oben ausgeführt – reicht “hätte wissen müssen” nicht für einen Eventualvorsatz.
Es bleibt, die grobe Fahrlässigkeit zu prüfen.
Die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit sind jedenfalls erfüllt: Allgemein gültige Sicherheitsregeln, wie etwa die Geschwindigkeitsbeschränkungen, Abstandsregeln oder dem Vertrauensgrundsatz entsprechendes Verhalten, wurden nicht beachtet. Dabei müsste jedem Fahrer bewusst sein, welche Gefahr damit verbunden ist. Die ebenfalls zu berücksichtigende Gefährlichkeit der Situation ist ebenso unbestritten. Es liegt somit jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vor.
Vergleich
Die Ansichten zu derart gelagerten Fällen sind in Österreich unterschiedlich. In den allermeisten Fällen werden solche TäterInnen – wie in diesem Fall – wegen grob fahrlässiger Tötung verurteilt. 2018 wurde erstmals in Österreich ein Mann wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt, nachdem er mit mehr als 100 km/h durch eine 30er-Zone fuhr und dabei den Tod zweier Menschen verursachte.
In Deutschland sorgte ein ähnlicher Fall für Aufsehen: Zumindest einer der beiden “Ku’damm-Raser” wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem bei einem Straßenrennen über den sehr belebten Berliner Kurfürstendamm ein Mann getötet wurde.
Fazit
Neun Monate Haft für den Tod eines Menschen – das klingt nicht nachvollziehbar und hinterlässt ein seltsames Gefühl. Wer derart rücksichtslos fährt, und trotz mehrerer Zwischenfälle seinen Fahrstil nicht anpasst, nimmt weitere Unfälle in Kauf und findet sich damit ab. Mehr sogar, er weiß um die Gefahr, die von seiner Fahrweise ausgeht, und kann diese nicht mehr bloß für möglich halten.
Obige Ausführungen machen deutlich, warum in diesem Fall so geurteilt wurde. Es ist juristisch nachvollziehbar. Und gleichzeitig auch unbefriedigend. Meiner Ansicht nach wird spätestens nach den vorangegangenen Zwischenfällen aus “er hätte wissen müssen” ein “er wusste”, und damit ein vorsätzliches Handeln. Das Problem ist jedoch die Nachweisbarkeit, und so gilt auch in diesem Fall: in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten.
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