Argumentum ad hominem

Unter einem argumentum ad hominem (lateinisch „Beweisrede zum Menschen“) wird ein Argument verstanden, in dem die Position oder These eines Streitgegners durch einen Angriff auf persönliche Umstände oder Eigenschaften seiner Person angefochten wird. Dies geschieht meistens in der Absicht, wie bei einem argumentum ad populum die Position und ihren Vertreter bei einem Publikum oder in der öffentlichen Meinung in Misskredit zu bringen. Es kann in der Rhetorik auch bewusst als polemische und unter Umständen auch rabulistische Strategie eingesetzt werden.

Schema

Der Gegner behauptet, dass p.
Der Gegner ist inkonsequent/dumm/unfähig/unwahrhaftig/selbstsüchtig.
Daher: p ist abzulehnen.

Subtypen nach Walton

Walton unterteilt das Argumentum ad hominem in fünf Subtypen mit dem Hinweis, dass ebendiese von den Wissenschaftlern größtenteils als akzeptiert gelten: „five types or subcategories of ad hominem argument recur as being recognized as central most frequently – the abusive, the circumstantial, the bias, the tu quoque (or „you too“), and the poisoning the well“. Auf diese wird nachfolgend einzeln näher eingegangen.

Direktes ad hominem

Als missbräuchliches ad hominem (abusive ad hominem) kann diejenige Argumentationsweise bezeichnet werden, bei der eine Person unmittelbar angegriffen wird, um alle ihre Behauptungen zurückzuweisen. Diese Argumentation weist das Muster auf: Vorlage:”.

Trotz der breiteren Akzeptanz des Ausdrucks abusive ad hominem empfiehlt Walton, ihn nur für klar missbräuchliche und fehlschlüssige Fälle zu verwenden, in denen die Person zu unrecht angegriffen wird. Das Wort abusive suggeriert nicht nur die Verletzung der Person, sondern eben auch, dass das Argument ungerechtfertigt sei. Da es Walton zufolge durchaus Fälle gibt, bei denen ein ad hominem durchaus berechtigt ist und die nicht auf einem logischen Irrtum beruhen, schlägt er die Bezeichnung Direct Ethotic vor. Das direct betont den direkten Angriff, das ethotic das „Ethos“ des Gegenübers, konkret die Beschaffenheit gewisser Persönlichkeitsmerkmale.

Walton unterscheidet folgende fünf Subtypen des Direct (Ethotic) Ad Hominem:

  • from Veracity (mangelnde Wahrhaftigkeit)
  • from Prudence (mangelnde Vernunft oder Vorsicht)
  • from Perception (mangelnde Einsicht / Unwissenheit)
  • from Cognitive Skills (mangelnde kognitiven Fähigkeiten)
  • from Morals (mangelnde moralische Grundsätze).

Allen Subtypen ist gemeinsam, dass sie einen spezifischen Aspekt der Persönlichkeit des Kontrahenten als unzureichend für die Vorbringung einer gültigen Argumentation, Behauptung oder Meinung darstellen.

Performatives ad hominem

Das performative ad hominem (circumstantial ad hominem) wurde in der Vergangenheit teilweise so breit ausgelegt, dass es schwierig war, zwischen diesem und dem missbräuchlichen ad hominem zu unterscheiden. Walton bestimmt diesen Subtyp folgendermaßen: „the circumstantial type of ad hominem argument requires some kind of practical inconsistency between what an arguer says and some propositions expressed directly or indirectly by that arguer’s personal circumstances.“

Hier wird nicht die argumentative Fähigkeit, sondern die Berechtigung des Gegners, einen bestimmten Punkt zu beurteilen, angegriffen. Insbesondere wird nach einem performativen Widerspruch zwischen Verhalten und Behauptung gesucht. Ein Beispiel dafür wäre, wenn eine Mutter selbst raucht, aber ihrem Kind nahelegt, nicht zu rauchen, weil es sehr ungesund sei. Das Kind erwidert: „Offenbar ist es doch nicht so ungesund, da du ja selbst auch rauchst!“ Die Aussage des Kindes thematisiert den Widerspruch zwischen der Aussage der Mutter und ihrer Handlung. Die Behauptung der Mutter muss dadurch keinesfalls zwangsläufig unwahr sein oder die Argumentation als fehlschlüssig betrachtet werden, nur weil eine Inkonsequenz zwischen der von ihr vertretenen Regel und ihrem eigenen Verhalten besteht.

Befangenheit

Das Befangenheits-ad-hominem (bias ad hominem) stellt die Unbefangenheit einer Person bezüglich des Streitpunkts in Frage. Die Behauptung des Gegners wird dabei auf eigennützige Motive zurückgeführt und ihm wird ein Interesse an einer wahrheitsgemäßen, klugen oder dem Gemeinwohl verträglichen Entscheidung abgesprochen.

Brunnenvergiftung

Walton schlägt vor, die Brunnenvergiftung (poisoning the well) als Verschärfung des Befangenheits-ad-hominem zu betrachten, bei dem die Befangenheit des Sprechers als gesichert gilt und ihm Interesse unterstellt wird, das dem des Publikums klar zuwiderläuft und von diesem als moralisch verächtlich betrachtet wird.

So kann durch geeignetes Framing, z. B. durch die Gleichsetzung von Abtreibung und Mord, angedeutet werden, dass jeder, der ein Recht auf Abtreibung vertreten will, ein potentieller „Kindsmörder“ ist. Auch wenn diese Vorwürfe weit hergeholt sein mögen, gilt: Semper aliquid haeret („etwas bleibt immer hängen“), womit die Grundlage für ein missbräuchliches ad hominemgelegt ist.

Tu quoque

Diese Argumentationsart wird häufig dazu verwendet, das angreifende Argument an den Absender zurückzugeben. Dabei wird nicht seine Berechtigung angefochten, das Argument vorzubringen (wie im performativen ad hominem), statt dessen wird die Behauptung des Gegners zum Anlass genommen, um ihn selbst direkt zu tadeln und somit unabhängig von der speziellen Sachfrage zum Schweigen zu bringen. Beispiel: „Erzähl mir nicht, dass ich mit dem Rauchen aufhören soll, du qualmst ja selbst wie ein Schlot!“. Walton lässt offen, ob dieses Muster unter dem Überbegriff ad hominem einzuordnen ist.

argumentum ad personam

Als argumentum ad personam bezeichnet der Philosoph Arthur Schopenhauer in seinem Werk zur eristischen Dialektik ein Scheinargument, das sich wie beim argumentum ad hominem auf die Person des Gegners richtet, dabei jedoch keinen Bezug mehr zum eigentlichen Streitthema enthält und ausschließlich sachlich irrelevante persönliche Eigenschaften angreift. Es benötigt im Gegensatz zum argumentum ad hominem keinen logischen Aufbau und besteht im Extremfall aus einer schlichten Beleidigung. Schopenhauer führt es als letztes Mittel in einem Streitgespräch an:

Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.

Diese Vorgehensweise sei beliebt, da sie von jedermann angewandt werden könne. Im Gegensatz dazu sei die Fähigkeit zu einer sachlichen Auseinandersetzung und dem Eingestehen des eigenen Unrechts nicht jedem gegeben, und er bemerkt:

Daraus folgt, dass unter Hundert kaum Einer ist, der wert ist, dass man mit ihm disputiert.

Schopenhauer betont, dass ein dialektischer Sieg, also das sachliche Widerlegen einer Position, einen Streitgegner weit mehr erbittert als eine bloße Beleidigung, und empfiehlt dieses Vorgehen als Gegenstrategie.

Literatur

  • Douglas Walton: Ad hominem arguments. (Studies in rhetoric and communication). Tuscaloosa, Alabama: Alabama University Press, 1998, ISBN 0-8173-0922-5 (gebundene Ausgabe), ISBN 0-8173-5561-8 (Taschenbuchausgabe 2009).
  • Charles Leonard Hamblin: Fallacies. Methuen London 1970, ISBN 0-416-14570-1 und ISBN 0-416-70070-5 (Taschenbuch), Neuauflage von 2004 bei Vale Press, ISBN 0-916475-24-7(Taschenbuch).
  • Arthur Schopenhauer Eristische Dialektik oder Die Kunst Recht zu behalten (1830/31). Edition Arthur Hübscher (1966); Haffmans Verlag, Zürich 1983, ISBN 3-251-000160 (Volltext auf gutenberg.de).
  • Maurice A. Finocchiaro: Galileo and the Art of Reasoning. (Boston Studies in the Philosophy of Science, vol. 61.) Dordrecht 1980.

Siehe auch

  • Argumentum ad ignorantiam

Einzelnachweise

  1. Walton 1998, S. 2.
  2. Walton 1998, S. 283.
  3. Walton 1998, S. 215.
  4. Walton 1998, S. 6.
  5. Vgl. Walton 1998, S. 11–14.
  6. Vgl. Walton 1998, S. 15.
  7. Arthur Schopenhauer: Die Kunst, Recht zu behalten. tredition, Hamburg 2011, ISBN 978-3-8424-1385-6, S. 95-96 (Volltext/Vorschau in der Google-Buchsuche).

http://de.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_hominem 03.12.2014

Lizenzinformation zu diesem Artikel

Dieser Artikel basiert auf dem in den Quellen angeführten Wikipedia-Artikel, verfügbar unter der LizenzCC BY-SA 3.0“.

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