Als Besitzwille wird der Wille (lat. animus) einer Person bezeichnet, eine Sache für sich zu behalten (animus rem sibi habendi).
Kommt der Besitz mehreren Personen gleichermaßen zu, entsteht Mitbesitz. Die bloße Mitbenützung einer Sache muss nicht zwangsläufig Mitbesitz begründen, wenn deutlich erkennbar ist, dass jemand anderes an der Sache bereits den Alleinbesitz hat oder mehrere Personen den Mitbesitz haben.
Entwicklung
Vorklassisches Römisches Recht
Im vorklassischen Römischen Recht wurde der Besitz (possessio) als Faktum verstanden. Es reichte aus, dass jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache hatte (corpore), damit er als deren Besitzer galt. Er konnte diesen Besitz selbst ausüben (Eigenbesitz) oder durch andere Personen (Besitzdiener) ausüben lassen (Fremdbesitz).
Um die tatsächliche Gewalt über die Sache zu erlangen, musste der Besitzer diese physisch ergreifen (bewegliche Sache) oder physisch betreten (unbewegliche Sache).
Klassisches Römisches Recht
Im klassischen Römischen Recht sind für den Besitz mehrere Faktoren Voraussetzung, wobei verschiedene Arten von Besitz unterschieden werden:
- Possessio civilis – Voraussetzung: tatsächliche Gewalt über die Sache und einen tauglichen Rechtsgrund für den Erwerb (iusta causa possessionis, z. B. Kauf, Schenkung, Vermächtnis etc.)
- Possessio ad interdicta (Interdiktenbesitz)
- Detentio (Innehabung)
Nach klassischer Lehre wurde der Besitz durch Herstellung der Sachherrschaft (Gewalt) und dem Willen, die Sache zu beherrschen (corpore et animo) begründet.
Der Besitz geht nach klassischer Lehre verloren, wenn der Besitzer die Sachherrschaft freiwillig aufgibt (corpore et animo) oder unfreiwillig verliert (corpore). Besteht hingegen Aussicht auf Wiedererlangung der Sache, kann der Besitz auch nur mit dem Besitzwillen alleine (solo animo) aufrechterhalten werden.
Nachklassisches Römisches Recht und Justinian
In der nachklassischen Entwicklung des Römischen Rechts wird der Besitzwille (animus Domini) zum zentralen Element für den redlichen Besitz. Der Besitz wandelt sich vom Faktum und nähert sich einem Recht an.
Mit der Entwicklung des Besitzes zum Recht wird auch davon ausgegangen (Justinian), dass es für die Aufrechterhaltung des Besitzes alleine ausreichend ist, den Besitzwillen (animus) aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet in der Praxis, dass auch dann, wenn die körperliche Sachherrschaft verloren gegangen ist, der Besitzer den Besitz an der Sache nicht verliert.
Modernes Verständnis
§ 309 ABGB: „Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, heißt ihr Inhaber. Hat der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so ist er ihr Besitzer.“
Besitzer ist nach dem ABGB z. B.:
- wer eine Sache für sich behält, weil er darauf einen Rechtsanspruch hat (z. B. der Eigentümer);
- wer vermeint, einen Rechtsanspruch auf die Sache zu haben (z. B. derjenige, der das Recht an eine Sache gutgläubig ersitzt, weil er meint, er sei der Eigentümer);
- wer eine Sache für sich behält (z. B. der Dieb, der untreue Geschäftspartner, der Hausbesetzer etc.).
Der Besitzwille ist nach dem österreichischen ABGB somit zwingende Voraussetzung für den Besitzerwerb und Besitzerhalt.