Bundesrat genehmigt Übernahme von Videozuschaltung bei Zivilverfahren und Gesellschaftsversammlungen ins Dauerrecht

Kein Veto der Länderkammer für mehrere Beschlüsse aus dem Finanzbereich und Erhöhung des Strafrahmens bei Cybercrime-Delikten

Wien (PK) – Der Bundesrat gab heute mehrheitlich grünes Licht für die Übernahme von zwei während der Corona-Pandemie bewährten Regelungen ins Dauerrecht. Damit wird es bei Zivilverfahren weiterhin die Möglichkeit von Videozuschaltungen geben und Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine und Versicherungsvereine können nun wählen, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen.

Zudem passierte die Umsetzung einer EU-Richtlinie mehrheitlich die Länderkammer, die einen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen für Kapitalgesellschaften schafft, ebenso wie eine Erhöhung der Strafrahmen für Cybercrime-Delikte. Eine Unterstützung mit 3 Mio. € für den Hochwasserschutz in Arriach und Treffen in Kärnten erzielte Einstimmigkeit.

Ferner besiegelten die Bundesrät:innen mehrere Nationalratsbeschlüsse aus dem Finanzbereich; das Abgabenänderungsgesetz 2023, Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung mittels des neuen Zahlungsinformationssystems CESOP, Adaptierungen beim Register der wirtschaftlichen Eigentümer sowie das Wagniskapitalfondsgesetz zur Stärkung von Eigenkapital.

Ein gemeinsamer Antrag der Bundesrät:innen auf Abhaltung einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Kindern Perspektiven geben – unbeschwert, chancenreich und demokratisch erwachsen werden“ wurde in der Sitzung einhellig noch auf die heutige Tagesordnung gesetzt. Er wird am Ende der Sitzung debattiert werden.

Virtuelle Zivilverfahren und Gesellschafterversammlungen werden Dauerrecht

Die Bundesregierung erklärt ihren  Novellenentwurf für virtuelle Zivilprozesse  mit der bewährten Praxis während der Corona-Pandemie. Richter:innen haben weiterhin physisch im Verhandlungssaal anwesend zu sein, um mit einem „Aufruf zur Sache“ die Verhandlung zu starten, womit auch die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer Teilnahme der Öffentlichkeit sichergestellt sei, heißt es in den Erklärungen zum Entwurf. Grundsätzlich bedarf es einer gerichtlichen Anordnung zur virtuellen Abhaltung einer Verhandlung und Beweisaufnahme. Der Umfang der Videozuschaltungen liegt im Ermessen des Gerichts und den Streitparteien wird ein Widerspruchsrecht eingeräumt. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass das Gericht die ausdrückliche Zustimmung der Parteien einholt. Einschränkungen zur Anberaumung einer Videoverhandlung sollen laut Justizministerium sicherstellen, dass die konkrete Verhandlungssituation für den Einsatz von Videotechnologie geeignet ist.

Durch das neue  Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen  wird auch Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen sowie Versicherungsvereinen ein Wahlrecht eingeräumt, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen künftig in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen. Die während der COVID-19-Pandemie zeitlich befristete gesetzliche Grundlage für „virtuelle Versammlungen“ soll somit in den geltenden Rechtskanon überführt werden, konkret ab morgen, 14. Juli 2023. Für börsennotierte Aktiengesellschaften sieht die Vorlage eigene Sonderbestimmungen vor, etwa hinsichtlich Wortmeldungen und Stimmrechten.

Elisabeth Grossmann (SPÖ/St) beurteilte die Möglichkeit, Zivilprozesse auch virtuell abzuhalten grundsätzlich positiv, solange beide Streitparteien einverstanden seien. Problematisch sah sie jedoch die Regelung bei Gesellschafterversammlungen, da insbesondere bei börsennotierten Unternehmen die Rechte von Kleinaktionär:innen eingeschränkt und Kontrollrechte beschnitten werden könnten. Da laut Grossmann vor dem Hintergrund der kika/Leiner-Insolvenz die Chance einer „dringend gebotenen“ Reform des Insolvenzrechts verpasst worden sei, brachte sie einen Entschließungsantrag ein, der jedoch keine Mehrheit erhielt. Darin fordert sie unter anderem Eigentümer stärker in die Verantwortung zu nehmen, das „Trennungsgebot“ bei Insolvenzen von Unternehmen, die zu einem Konzern gehören, zu hinterfragen, die Befriedigung öffentlicher Abgaben bei Insolvenzen vorrangig zu behandeln und eine eigene Insolvenzbehörde mit dem entsprechenden Know-how für große Insolvenzverfahren zu schaffen. Außerdem soll laut Antrag die Haftung bei Unternehmensspaltungen insofern erweitert werden, als dass auch die abgespaltenen Unternehmen für den durch die Spaltung entstandenen Schaden gegenseitig haften.

Digitale Versammlungen hätten sich in der Corona-Pandemie etabliert und sollten auch dort ermöglicht werden, wo dies umsetzbar, sinnvoll und sicher ist, konstatierte Elisabeth Kittl (Grüne/W). Die Praxis zeige, dass digitale oder hybride Versammlungen aufgrund der Niederschwelligkeit oft besser besucht seien. Zudem hätten sie laut Kittl auch eine egalisierende Wirkung, da „vor dem Computer alle gleich seien“, was gleichberechtigte Diskussionen begünstige. Hinsichtlich Grossmanns Entschließungsantrag verwies sie auf ein bereits „sehr strenges“ Insolvenzrecht, speziell was den Gläubigerschutz betreffe. Elisabeth Grossmann stellte darauf die Frage in den Raum, weshalb dieses „strenge“ Insolvenzrecht dann im Fall kika/Leiner nicht angewendet werde.

Der Novelle bezüglich der Zivilverfahren stimmte Andreas Arthur Spanring von den niederösterreichischen Freiheitlichen „mit etwas Bauchweh“ zu, da entsprechende IT-Infrastruktur fehle, um die Novelle umzusetzen. Das Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen sah auch er kritisch. Die im Gesetz festgeschriebenen Minderheitenrechte, seien praktisch nicht umsetzbar, da sich die Aktionär:innen untereinander oft nicht kennen würden und sich somit auch nicht für einen Einspruch zusammenschließen könnten – dafür seien 5 % der Gesellschafter notwendig. Außerdem würden Aktieninhaber:innen ohne digitale Möglichkeiten von vornherein „ausgegrenzt“, so Spanring.

Es seien nicht 5 % der Aktionär:innen notwendig, um vom Minderheitenrecht Gebrauch zu machen, sondern Anteilseigner:innen, die 5 % des Grundkapitals hielten, stellte Sandra Lassnig (ÖVP/K) klar. Zügigere Verfahren, schnellere Termine, wegfallende Anfahrtswege und eine höhere Flexibilität waren nur einige der Vorteile, die sie mit der Digitalisierung der Verfahren verbunden sah.

Justizministerin Alma Zadić betrachtete die Zivilverfahrensnovelle als wesentlichen Fortschritt, der die Justiz schneller und moderner mache. Es werde lediglich ins Dauerrecht überführt, was sich in der Praxis der Pandemie bereits bewährt habe. Zudem brauche es die Zustimmung beider Streitparteien, um die Verhandlung virtuell führen zu können. Die IT-Infrastruktur werde bereits dementsprechend angepasst, erklärte Zadić. Auch bei den Gesellschafterversammlungen stünden die Minderheitenrechte im Fokus. Neben dem Einspruchsrecht durch Aktionär:innen, die mindestens 5 % des Grundkapitals hielten, müsse die Möglichkeit zur virtuellen Versammlung auch in der Satzung festgeschrieben und dort alle fünf Jahre erneuert werden. Man habe eine gute Regelung gefunden, die sowohl dem technischen Fortschritt Rechnung trage als auch Minderheitenrechte schütze, so Zadić.

Gesetzesvorlage zum Umgründungsrecht von Kapitalgesellschaften

Mit einer weiteren mehrheitlich genehmigten  Gesetzesvorlage  wird die gesellschaftsrechtliche „Mobilitäts-Richtlinie“ der EU umgesetzt. Damit soll zum einen ein Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen für Kapitalgesellschaften geschaffen werden. Zum anderen ist eine Aktualisierung der geltenden Bestimmungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften vorgesehen. Die Bestimmungen für alle drei Umgründungsarten sollen sich künftig in einem einheitlichen Bundesgesetz über grenzüberschreitende Umgründungen von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union („EU-Umgründungsgesetz“) finden. Eine wesentliche unionsrechtliche Neuerung stellt unter anderem eine Missbrauchskontrolle dar, die künftig bei allen drei grenzüberschreitenden Umgründungsarten durch die zuständige Behörde des Wegzugsmitgliedstaats (in Österreich: durch das Firmenbuchgericht) durchzuführen sei. Durch einen im Justizausschuss eingebrachten Abänderungsantrag wird als inflationsdämpfende Maßnahme auch die Erhöhung der Gerichtsgebühren um weitere 18 Monate verschoben.

Höhere Strafrahmen für Cybercrime-Delikte

Mehrheitliche Zustimmung erhielt auch eine Regierungsvorlage, die auf eine deutliche Erhöhung des Strafrahmens bei Cybercrime-Delikten abzielt. So wird das Hacken eines Computers künftig mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, anstatt wie bisher mit sechs Monaten, bedroht und bei Cyber-Angriffen auf kritische Infrastruktur erhöht sich die Strafdrohung auf bis zu drei Jahre bzw. im Rahmen einer kriminellen Vereinigung auf bis zu fünf Jahre. Verletzung bzw. Auskundschaftung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen werden nunmehr als Offizialdelikte ausgestaltet, um damit die geschädigte Person vom Kostenrisiko zu befreien, wenn sie die Strafverfolgung wünscht. Auch soll die geschädigte Person aufgrund der Sensibilität des Gegenstands darüber entscheiden können, ob gegebenenfalls eine Strafverfolgung stattfinden soll. Angehoben wird überdies die Strafdrohung zur Verletzung von Berufsgeheimnissen.

Zudem wird im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb für die Straftatbestände zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen eine deutliche Anhebung der Strafdrohungen vorgesehen, nämlich von bisher drei Monaten Freiheitsstrafe auf ein Jahr. Damit soll auch die Umsetzung von EU-Vorgaben verbessert werden. Auch hier werden die Straftatbestände von Privatanklage- in Ermächtigungsdelikte umgewandelt.

Grünes Licht für Finanzgesetze

Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2023 werden einige Gebühren und Verwaltungsaufgaben im Sinne der Kostenneutralität und Gebührentransparenz vereinfacht. Neben Ökologisierungsschritten sind etwa Steuererleichterungen vorgesehen, um leerstehende Betriebsgebäude außerbetrieblich für eigene Wohnzwecke oder zur Vermietung zu nutzen. Die Verjährungsfrist für besonders schwerwiegende Finanzvergehen wird auf zehn Jahre erhöht. Weitere Änderungen betreffen unter anderem die Modernisierung technischer Prozesse bei der Besteuerung von Kapitalvermögen, das Tabakmonopolgesetz, die Tätigkeit als Mitglied in Wahlbehörden, Begünstigungen nach dem Erdgasabgabegesetz sowie Regelungen gemäß EU-Richtlinien. Die Vorlage passierte den Bundesrat mit Mehrheit.

Einer EU-Richtlinie nachgekommen wird mit dem CESOP-Umsetzungsgesetz, um Mehrwertsteuerbetrug leichter aufzudecken. Für diese Maßnahmen sprach sich die Länderkammer einhellig aus. Durch das neue zentrale elektronische System für die Speicherung von Zahlungsinformationen (CESOP), haben europäische Zahlungsdienstleister künftig detaillierte Aufzeichnungen über grenzüberschreitende Zahlungen in Bezug auf die von ihnen in jedem Kalenderquartal erbrachten Zahlungsdienste zu führen und zu melden, wenn sie mehr als 25 grenzüberschreitende Zahlungen an denselben Zahlungsempfänger tätigen.

Eine Novelle des Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetzes integriert die Erkenntnisse der Nationalen Risikoanalyse 2021 sowie die gewonnenen Erfahrungen bei der Umsetzung von Sanktionen in das Register, das Daten über die wirtschaftlichen Eigentümer von Gesellschaften, Stiftungen und Trusts zum Zweck der Verhinderung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung enthält. Die Bundesrät:innen gaben dafür mehrheitlich grünes Licht.

Um die Bereitstellung von Eigenkapital bzw. die Beteiligung an Unternehmen zu erleichtern, wird mit dem Wagniskapitalfondsgesetz (WKFG) die Bildung von Wagniskapitalfonds in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft ermöglicht. Die Vorlage wurde in der Länderkammer mehrheitlich befürwortet. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapitalfonds, insbesondere deren Organisation und die aufsichtsrechtliche Einordnung, sollen zur Stärkung von Liquidität und Solvenz österreichischer Unternehmen beitragen.

3 Mio. € für Hochwasserschutz in Arriach und Treffen

Einstimmig passierte eine Novelle des Katastrophenfondsgesetzes den Bundesrat. Die Kärntner Gemeinden Arriach und Treffen am Ossiacher See werden damit von den Folgekosten des Hochwassers vom 29. Juni 2022 mit 3 Mio. € entlastet. Die Finanzierung der anteiligen Kosten an den Projekten des Hochwasserschutzes und der Wildbachverbauung am Treffnerbach und dessen Zubringern wird damit aus Mitteln des Katastrophenfonds sichergestellt. (Fortsetzung Bundesrat) wit/fan/bea/mbu

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

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