Umfang der Freiheitsersitzung bei der Dienstbarkeit eines Bauverbots

Wird der Dienstbarkeit eines Bauverbots zuwidergehandelt und erhebt der Dienstbarkeitsberechtigte drei Jahre lang keine Klage, so führt dies zum gänzlichen Untergang der Dienstbarkeit nach § 1488 ABGB.

Im Lastenblatt der Liegenschaft der Klägerin ist zugunsten jener des Beklagten die „Dienstbarkeit der Nichtverbauung […] gem Pkt Fünftens des Kaufvertrags 1960-02-05“ eingetragen. Durch den Kaufvertrag hatten sich die Rechtsvorgänger der Klägerin (Käufer) gegenüber den Rechtsvorgängern des Beklagten (Verkäufer) verpflichtet „das Vertragsobjekt als Lagerplatz in Benützung zu nehmen und niemals in Bauplätze umzuwandeln“.

Die dienende Liegenschaft wurde als Lagerplatz benützt, zudem wurden auf ihr aber diverse Baulichkeiten errichtet, unter anderem ca 1962 ein Lagerraum und ein Lagerschuppen, 1969 eine Abstellhalle und 1974 eine Betonmischanlage.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage zwischen den Parteien festzustellen, dass bei ihrer Liegenschaft keine Dienstbarkeit der Nichtverbauung mehr bestehe und den Beklagten schuldig zu erkennen, in die grundbücherliche Löschung der Dienstbarkeit einzuwilligen. Es sei Freiheitsersitzung eingetreten.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht gab der Klage nur teilweise statt. Für die Bebauung mit Lagerhallen und dergleichen habe das Bauverbot nach der Auslegung des Vertrags durch das Erstgericht von Anfang an nicht gegolten. Hinsichtlich der Errichtung von Anlagen zur Produktion von Beton und Betonteilen habe die Klägerin die Freiheit ersessen. Hinsichtlich anderer Baulichkeiten als Lagerhallen und Betonproduktionsanlagen bestehe das Bauverbot weiterhin.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, dass es der Klage vollinhaltlich stattgab.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte dieses Urteil und führte dazu unter anderem aus:

Nach § 1488 ABGB verjährt das Recht der Dienstbarkeit durch den Nichtgebrauch, wenn sich der verpflichtete Teil der Ausübung der Servitut widersetzt und der Berechtigte durch drei aufeinander folgende Jahre sein Recht nicht geltend macht (Freiheitsersitzung). Auch Servituten (Dienstbarkeiten), die nur ein Unterlassen zum Gegenstand haben („negative Servituten“), unterliegen dieser Vorschrift. Eine solche Servitut stellt die Dienstbarkeit, das eigene Grundstück nicht zu bebauen, dar.

Für die Auslegung des Dienstbarkeitsbestellungsvertrags ist grundsätzlich der Wortlaut der Urkunde maßgeblich. Ein vom Wortlaut abweichender übereinstimmender Parteiwille kam im Verfahren nicht hervor. Es ist daher davon auszugehen, dass es verboten war, den Grund wie auch immer zu bebauen, auch nicht mit einem Lagerschuppen und dergleichen. Ein Lagerplatz ist nämlich nach allgemeinem Sprachgebrauch ein „Platz zum Lagern (oder Rasten oder Übernachten) im Freien.

Die Freiheit von der Dienstbarkeit der Nichtbebauung wurde zur Gänze ersessen. Bei einer Bebauung einer Liegenschaft entgegen einem bestehenden Bauverbot wird nämlich dieses zur Gänze verletzt und „widersetzt“ sich demnach der Verpflichtete zur Gänze der Servitut iSd § 1488 ABGB. Anzunehmen, dass bei Verletzung einer negativen Servitut wie dem Bauverbot oder der Servitut, nicht höher zu bauen, nur eine teilweise Freiheitsersitzung stattfände, hätte zur Konsequenz, dass hier eine gänzliche Freiheitsersitzung überhaupt nie stattfinden könnte, zumal grundsätzlich immer noch beschwerlicher bzw immer noch höher gebaut werden kann. Dies stände mit der ständigen Rechtsprechung, dass § 1488 ABGB auch für negative Servituten gilt, in Widerspruch. Der Gesetzgeber geht lege non distinguente davon aus, dass jede Servitut nach § 1488 ABGB zur Gänze erlöschen kann.

Ist dem Servitutsberechtigten die konkrete Bebauung gleichgültig, so steht es ihm frei, mit dem Servitutsverpflichteten eine entsprechende Einschränkung des Bauverbots zu vereinbaren. Ohne eine solche Vereinbarung führt sein Hinnehmen des bauverbotswidrigen Zustands über mehr als drei Jahre ohne Erhebung der Klage aber zum Rechtsverlust nach § 1488 ABGB. Der Abschluss einer solchen Vereinbarung kann dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.

Zum Volltext im RIS.

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