COVID-19 Gesetz laut VfGH verfassungskonform, Betretungsverbote teilweise gesetzeswidrig
Der VfGH hat in der mit Spannung erwarteten Judikatur über das COVID-19-Gesetz entschieden, dass der Entfall von Entschädigungen für Betriebe nicht gegen das Grundrecht auf Eigentum und den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Er stellt jedoch fest, dass ein Betretungsverbot für Betriebstätten in seiner Wirkung einem Betriebsverbot gleicht. Dies stellt zwar einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht dar, doch ist das Betretungsverbot in ein umfangreiches Maßnahmen- und Rettungspaket eingebettet.
Der Sinn dieses Maßnahmenpaketes war, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Betretungsverbots auf die betroffenen Unternehmen abzufedern. Der VfGH führt hier insbesondere den Anspruch der Unternehmen auf Kurzarbeit und andere finanzielle Unterstützungsleistungen an. Ein Anspruch auf Entschädigung für alle vom Betretungsverbot betroffenen Unternehmen lässt sich aus dem Grundrecht nicht ableiten. Der VfGH stellte jedoch auch fest, dass die Hilfsmaßnahmen den Betrieben gleichheitskonform und nach sachlichen Kriterien gewährt werden müssen.
Das Epidemiegesetz 1950 gewährt für den Fall der Schließung eines Betriebes einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, während das COVID-19-Maßnahmengesetz keinen Entschädigungsanspruch vorsieht. Dies verstößt laut VfGH nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, da der Gesetzgeber mit dem Epidemiegesetz 1950 lediglich die Schließung einzelner Betriebe vor Augen hatte und nicht eine großräumige Betriebsschließung, wie sich dies aus dem COVID-19-Maßnahmengesetz ergibt.
Differenzierung zwischen Bau- und Gartenmärkten und anderen großen Handelsbetrieben ist gesetzeswidrig
Gem § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz kann der zuständige Bundesminister durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten, oder von bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Mit der Verordnung des Gesundheitsministers BGBl. II 96/2020 wurde unter anderem das Betreten des Kundenbereiches des Handels untersagt. Dies bedeutet im Ergebnis, dass betroffene Betriebsstätten geschlossen werden mussten. Ausgenommen von diesem Verbot waren zunächst sog. systemrelevante Betriebe wie Apotheken, der Lebensmittelhandel oder auch Tankstellen. Alle anderen Geschäfte durften mit 14. April 2020 nur betreten werden, wenn der Kundenbereich 400 m² nicht übersteigt.
Mehrere Unternehmer stellten den Antrag auf Aufhebung dieser Quadratmeterbeschränkung. Der VfGH hat seine Rechtsprechung in diesem Zusammenhang weiterentwickelt, da die besagte Vorschrift bereits mit 30. April 2020 außer Kraft getreten ist. Er hat entschieden, dass der Individualantrag zulässig ist, obwohl die Regelung zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr in Kraft war. Der Gerichtshof begründete dies damit, dass das rechtliche Interesse des Antragsstellers, eine verbindliche Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmung zu erwirken, über den relativ kurzen Zeitpunkt hinaus ausreicht, in dem die angefochtene Bestimmungen in Kraft gestanden sind.
Der VfGH befand, dass die Quadratmeterregelung gesetzeswidrig ist. Als Grund nannte der VfGH den Umstand, dass der Gesundheitsminister nachvollziehbar machen muss, auf Basis welcher Informationen er die Verordnungsentscheidung und die gesetzliche Abwägungen zwischen öffentlichem Interesse und den grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen getroffen hat. Weiters ist aus dem Verordnungsakt nicht ersichtlich, welche Umstände den Gesundheitsminster bei seiner Entscheidung beeinflusst haben.
Für den VfGH war keine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung ersichtlich.
Allgemeines Betretungsverbot von öffentlichen Orten
Auf Grundlage des § 2 COVID-19-Maßnahmengesetzes erging die Verordnung des Gesundheitsministers, mit der das Betreten öffentlicher Orte allgemein für verboten erklärt wurde. Als Ausnahmen wurden in § 2 der Verordnung etwa das Betreten öffentlicher Orte im Freien alleine, mit Personen die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren genannt. Zu anderen Personen war ein Mindestabstand von einem Meter einzuhalten.
Ein Universitätsassistent brachte gegen diese Verordnung einen Individualantrag nach Art 139 B-VG ein. Der VfGH hatte gegen § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil diese Bestimmung eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für Betretungsverbote bietet und damit dem verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzip entspricht.
Die Entscheidung der Maßnahmen überträgt das Gesetz an die zuständigen Behörden. Allerdings sind diese bei ihrer Entscheidung an die Grundrechte gebunden, insbesondere an das Recht auf persönliche Freizügigkeit. Einschränkungen sind nur dann zulässig, wenn sie verhältnismäßig sind und einem öffentlichen Interesse dienen (hier: Gesundheitsschutz).
Der VfGH hat judiziert, dass die Bestimmungen der §§ 1, 2, 4 und 6 der Verordnung gesetzeswidrig waren. Es wurden die Grenzen, die dem zuständigen Bundesminister durch § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz gesetzt wurden, überschritten. § 1 der Verordnung “geht der Sache nach als Grundsatz von einem allgemeinen Ausgangsverbot aus.” Auch die in § 2 der Verordnung geregelten Ausnahmen ändern nichts daran. Der VfGH führt aus, dass ein derart umfassendes Verbot nicht vom COVID-19-Maßnahmengesetz gedeckt ist. Das Gesetz bietet keine Grundlage dafür, eine Verpflichtung zu schaffen an einem bestimmten Ort zu bleiben. Es bedarf einer konkreten und entsprechend näher bestimmten Grundlage im Gesetz, so der VfGH.