Vorrang gerichtlichen Strafrechts vor Verwaltungsstrafrecht

Eine Tat ist nur dann als Verwaltungsübertretung strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung erfüllt.

Die Staatsanwaltschaft Wien legte einem Beschuldigten mit Strafantrag zur Last, er habe mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch das Einlegen der Kopie eines fremden Behindertenausweises ein allenfalls kontrollierendes Organ über seine Berechtigung zur kostenlosen Nutzung des Parkplatzes getäuscht und dadurch die Gemeinde Wien in der Höhe der Gebühr für den betreffenden Parkvorgang am Vermögen geschädigt. Dieses Verhalten qualifizierte die Anklagebehörde als Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 fünfter Fall StGB.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies den Strafantrag zurück und stellte das Verfahren ein, weil die Tat nicht dem Vergehen des Betrugs zu unterstellen wäre.

Der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht nicht Folge. Es führte aus, dass der anklagegegenständliche Sachverhalt zwar § 146 StGB unterstellt werden könne, aufgrund analoger Anwendung des § 22 Abs 2 FinStrG auf landesgesetzliche Abgabendelikte sei die Tat jedoch ausschließlich nach § 4 Abs 1 Wiener Parkometergesetz 2006 zu ahnden.
Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien erhob die Generalprokuratur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes.

In Stattgebung dieser Nichtigkeitsbeschwerde stellte der Oberste Gerichtshof in einem öffentlichen Gerichtstag fest, dass der Beschluss des Beschwerdegerichts § 22 Abs 1 VStG und § 146 StGB verletzt:

Die Wiener Parkometerabgabeverordnung normiert in § 1, dass für das Abstellen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen in Kurzparkzonen eine Abgabe zu entrichten ist. Nach § 6 lit g) leg cit ist die Abgabe unter anderem für Fahrzeuge, die von Inhabern eines Parkausweises für Menschen mit Behinderungen gemäß § 29b StVO 1960 abgestellt oder in denen solche Personen befördert werden, nicht zu entrichten, sofern diese beim Abstellen mit einem solchen Ausweis gekennzeichnet sind.

Wer durch Handlungen oder Unterlassungen die in der genannten Verordnung normierte Abgabe hinterzieht oder verkürzt, begeht gemäß § 4 Abs 1 des Wiener ParkometerG 2006 eine mit Geldstrafe zu ahndende Verwaltungsübertretung. Derartige Verstöße unterliegen dem VStG iVm dem Wiener Parkometergesetz 2006 als Materiengesetz.

§ 22 Abs 1 VStG normiert – unbeschadet einer allfälligen abweichenden (fallaktuell nicht vorliegenden) Regelung im Materiengesetz – den Vorrang gerichtlichen Strafrechts vor Verwaltungsstrafrecht. Eine Tat ist demnach nur dann als Verwaltungsübertretung strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung erfüllt.

Das dem Angeklagten zur Last gelegt Verhalten ist sowohl § 146 StGB als auch § 4 Abs 1 Wiener Parkometergesetz 2006 subsumierbar. Aufgrund des tateinheitlichen Zusammentreffens der gerichtlich strafbaren Handlung mit der Verwaltungsübertretung darf die Tat nur wegen des gerichtlichen Tatbestands verfolgt werden. Für eine analoge Anwendung des § 22 Abs 2 FinStrG auf den vorliegenden (keine Abgaben im Sinn des Art I FinStrG betreffenden und somit nicht dem FinStrG unterliegenden) Sachverhalt besteht mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum.

Bei richtiger Rechtsansicht hätte das Oberlandesgericht in Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft den angefochtenen Beschluss aufheben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung auftragen müssen.

Volltext im RIS erfolgt in Kürze

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