Im österreichischen Recht gibt es das spezifische Konzept des „Abwägungsgebots“ nicht in gleicher Form wie im deutschen Recht. Stattdessen wird im österreichischen Recht oft der Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ benutzt, um ähnliche Prinzipien zu beschreiben. Die Verhältnismäßigkeit ist ein allgemeines Prinzip, das in verschiedenen Bereichen des österreichischen Rechts Anwendung findet, insbesondere im Verfassungsrecht und im Verwaltungsrecht.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt, dass rechtliche Maßnahmen, die in die Rechte der Bürger eingreifen, einem legitimen Ziel dienen und geeignet, erforderlich und angemessen sind, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Prüfung findet oft in drei Schritten statt:
1. **Geeignetheit**: Die Maßnahme muss geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen.
2. **Erforderlichkeit**: Unter mehreren geeigneten Maßnahmen muss diejenige gewählt werden, die am wenigsten in Rechte eingreift.
3. **Angemessenheit**: Es muss eine Abwägung zwischen dem angestrebten Ziel und den belasteten Interessen erfolgen. Der Eingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck stehen.
Im österreichischen Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht wird häufig auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip Bezug genommen. Ein konkretes Beispiel ist im Bereich des Grundrechtsschutzes der österreichischen Bundesverfassung zu finden, wo jeder Eingriff in ein Grundrecht gerechtfertigt, d.h. verhältnismäßig, sein muss. Auch im Sicherheits- und Ordnungsrecht, etwa in Gesetzen, die polizeiliches Handeln regeln, findet es häufig Anwendung.
Ein prominentes Beispiel ist Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich als Verfassungsrecht gilt. Er schützt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz. Jeder Eingriff in diese Rechte muss einer der in der Konvention genannten legitimen Ziele verfolgen, gesetzlich vorgesehen sein und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, was im Wesentlichen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Abwägungsgebot als eigenständiger Begriff im österreichischen Recht nicht vorkommt, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit jedoch insbesondere bei Eingriffen in Grundrechte eine entscheidende Rolle spielt.