Im österreichischen Recht bezeichnet die Anfechtung einen gesetzlichen Mechanismus, der es einer Partei ermöglicht, einen bereits geschlossenen Vertrag aufgrund bestimmter Mängel im Willensbildungsprozess rückgängig zu machen. Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) regelt die Anfechtbarkeit von Verträgen und Rechtsgeschäften umfassend.
Wesentliche Gründe für eine Anfechtung umfassen Irrtum, List oder Drohung:
1. **Irrtum (§§ 871 ff ABGB):** Ein Vertrag kann angefochten werden, wenn eine Partei bei der Vertragsschließung einem Irrtum unterlegen ist. Dabei unterscheidet das ABGB zwischen wesentlichen und unwesentlichen Irrtümern. Wesentliche Irrtümer, die zur Anfechtung berechtigen, liegen vor, wenn der Irrtum für die Willenserklärung der betroffenen Partei kausal war, das heißt, die Partei hätte den Vertrag ohne den Irrtum nicht oder nicht zu den gleichen Bedingungen geschlossen. Zu berücksichtigen ist auch, ob der andere Vertragspartner den Irrtum kannte oder kennen musste.
2. **List (§ 870 ABGB):** Eine Anfechtung kann erfolgen, wenn eine Partei durch arglistige Täuschung (List) zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst wurde. Listiges Verhalten liegt vor, wenn eine Partei den anderen bewusst täuscht, um diesen zur Eingehung eines Rechtsgeschäfts zu verleiten. In diesem Fall ist der getäuschte Vertragspartner berechtigt, den Vertrag anzufechten, da die Willensbildung nicht frei erfolgt ist.
3. **Drohung (§ 870 ABGB):** Ein Vertrag ist ebenso anfechtbar, wenn eine Partei durch ungerechtfertigte Furchteinflößung (Drohung) zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst wurde. Auch hier wird das freiwillige Zustandekommen der Willenserklärung beeinträchtigt. Die Drohung muss dabei von solcher Intensität sein, dass eine vernünftige Person in der Lage des Bedrohten sich ebenfalls genötigt gesehen hätte, das Geschäft einzugehen.
Die Anfechtungsfrist beträgt in der Regel drei Jahre ab Vertragsabschluss, wobei die Frist bei Geltendmachung von List oder Drohung ab Kenntnis der Täuschung bzw. dem Wegfall der Zwangslage zu laufen beginnt.
Abgesehen von der Aufhebung des Vertrages kann die Anfechtungspflichtige Partei auch Schadenersatzansprüche für bereits erlittene Schäden geltend machen, sofern die Anfechtung erfolgreich war. Der Vertrag gilt nach einer erfolgreichen Anfechtung als von Anfang an nichtig (ex tunc), was die Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen zur Folge hat.
Zusammenfassend ist die Anfechtung im österreichischen Recht ein wichtiges Instrument, um eine auf einem Willensmangel beruhende und somit fehlerhafte Vertragsbindung aufzulösen. Indem das ABGB klare Regelungen zu den Voraussetzungen und Folgen einer Anfechtung bietet, wird sichergestellt, dass die Vertragsparteien nur bei einer wirksamen und freien Willenserklärung gebunden bleiben.