Im österreichischen Zivilprozessrecht ist die Aufklärungspflicht des Richters ein wichtiger Aspekt des verfahrensrechtlichen Rahmens, insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der materiellen Prozessleitung. Diese Pflicht ist vor allem in der Zivilprozessordnung (ZPO) verankert. Der Richter hat gemäß § 182 ZPO die Pflicht, die Parteien über ihre prozessualen Rechte und Pflichten zu belehren sowie den Sachverhalt vollständig zu erfassen. Diese Pflicht umfasst auch die Aufklärung über die notwendigen Beweismittel, die eingebracht werden müssen, um einen bestimmten Sachverhalt zu beweisen.
Die Aufklärungspflicht zielt darauf ab, das materielle Recht tatsächlich zur Anwendung zu bringen und eine faire sowie effiziente Prozessführung sicherzustellen. Dies bedeutet, dass der Richter die Parteien beraten kann, wenn Anträge unvollständig oder missverständlich sind, und gegebenenfalls Hinweise darauf geben kann, welche Tatsachen und Beweismittel für die Entscheidung des Rechtsstreits relevant sind. Diese Hinweise müssen jedoch so gestaltet sein, dass die richterliche Unparteilichkeit gewahrt bleibt.
Eine besondere Herausforderung bei der Aufklärungspflicht besteht darin, das Gleichgewicht zwischen der richterlichen Neutralität und der Unterstützung der Parteien zu finden. Der Richter soll nicht parteiisch agieren oder die Vertretung einer Partei übernehmen, sondern lediglich auf eine vollständige und präzise Darlegung des Sachverhalts hinwirken.
Neben der ZPO ist die Aufklärungspflicht auch im Strafprozess indirekt durch das Prinzip der materiellen Wahrheit relevant, auch wenn sie dort weniger explizit formuliert ist. Der Richter soll stets bemüht sein, die Wahrheit im Verfahren zu ergründen, was ebenfalls implizit eine Pflicht zur Aufklärung über unklare oder unvollständige Sachverhalte mit sich bringt.
Zusammengefasst dient die Aufklärungspflicht im österreichischen Recht dem Ziel einer gerechten und effizienten Rechtsprechung, indem sie die Parteien dabei unterstützt, ihren Standpunkt vollständig darzulegen und dadurch eine fundierte Entscheidungsfindung ermöglicht. Dies trägt letztlich zur Verwirklichung des materialrechtlichen Anspruchs im Prozess bei.