Als Begriffsjurisprudenz wird – in einem heute eher abwertenden Sinne – die Methodenlehre der Rechtswissenschaft des mittleren und späteren 19. Jahrhunderts bezeichnet.
Begriffspyramide, Inversionsmethode und Kritik
Grundlage der Begriffsjurisprudenz ist die Anwendung der Logik auf das Recht. Die Methode sollte darin bestehen, dass einerseits über einfachen positiven Normen ein Begriffssystem errichtet wird, das die gebündelten Rechtsgrundsätze eines Rechtsinstituts wiedergibt und andererseits dabei hilft, verallgemeinerte Rechtsgrundsätze herauszuarbeiten und zu Rechtsprinzipien zu gestalten. Differenziert wird dabei nach dem „einzelnen Rechtssatz“, dem „Institut“ und dem „Gesamtsystem“. Dabei wird der volksgeistige Institutsbegriff Friedrich Carl von Savignys, der in seiner Rechtsschule noch als Teil der Sachordnung verstanden wurde, gegen die pragmatische Definition ausgetauscht (Construction).
Rechtssätze und -begriffe sollten mit Hilfe der Construction mathematisch-geometrisch in ein lückenloses und widerspruchsfreies System übergeführt werden. Aus diesem sollte mithilfe von Obersätzen, Definitionen und Subsumtionen eine juristische Entscheidung gefällt werden können. Deshalb trennt das Programm zwischen „niederer“ und „höherer“ Jurisprudenz. Auf der niedereren Ebene sollen die einfachen Rechtssätze, die bloße Rechtsstoffe sind, interpretiert werden, auf der höheren Ebene sollen die Begriffe konstruiert werden. Ein subjektives Recht definiert sich im letzteren Sinne nach Subjekt, Objekt und Rechtsinhalt, erhält einen konkreten Klagschutz und steht in einem Zusammenhang mit seiner tatbestandlichen Begründung, seinem tatbestandlichen Untergang und Einflussfaktoren wie Bedingungen. Neben einer besseren Übersicht über das Rechtssystem soll gewährleistet werden, dass Lücken im Gesetzesrecht geschlossen werden. Jhering erhoffte sich von der Methode, dass man „durch das römische Recht über das römische Recht hinaus“ gelangte.
Die Kritiker der „Begriffsjurisprudenz“ (insbesondere der spätere Jhering, daneben Heck und Rümelin) attackierten insbesondere die auf dieses logische System angewandte „Inversionsmethode“, mit welcher „aus existierenden positiven Normen, neues – und system-fremdes – Recht erschaffen“ würde. Obgleich alle Rechtssätze in einem logischen Begriffszusammenhang stünden, der als Erkenntnisquelle noch unbekannter Rechtssätze zu dienen geeignet sei, behaupteten die Kritiker, dass die „Begriffsjurisprudenz“ für rechtsschöpferisches Tätigwerden und Einzelfallgerechtigkeit des Richters keinen Raum ließe. Johannes Emil Kuntze empfand das methodische System als zu naturwissenschaftlich, eine Kritik, die bis heute nachwirkt.
Wie Hans-Peter Haferkamp mit Blick auf Puchta nachweisen konnte, berücksichtigten dessen Arbeiten in vielerlei Hinsicht praktische Bedürfnisse. Ebenso nimmt Haferkamp Windscheid gegen die „schwerwiegenden Anklagen“ in Schutz, da er als Vertreter und Symbol die Interessenjurisprudenz vorbereitet habe. Joachim Rückert und Marc Heidemann stellen klar, dass in der Methodik Windscheids Elemente der „Begriffsjurisprudenz“, wie sie Jhering in Scherz und Ernst in der Jurisprudenz deklarierte, gerade nicht vorhanden waren. Maximiliane Kriechbaum findet „applikative Elemente“, d. h. einzelfallgerechtigkeitsorientierte Ermessensspielräume bereits bei der Historischen Rechtsschule Friedrich Carl von Savignys. Die Kritik an der Begriffsjurisprudenz hinge insoweit nicht unerheblich mit dem allgemeinen Missverständnis der Methodik Savignys zusammen. Die Abwertung der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, vorangetrieben vornehmlich durch die Pandektistik und deren (mehrheitlich polemische) Titulierung als „Begriffsjurisprudenz“ könne nach Haferkamp somit als widerlegt angesehen werden.
Heute wird der Begriffsjurisprudenz im Ergebnis bescheinigt, dass sie „sorgfältige Kleinarbeit“ geleistet habe. Dabei habe sie bisweilen die kompliziertesten und am schwierigsten zugänglichen Rechtsfiguren des bürgerlichen Rechts geschaffen. Gleichwohl seien auch diese gründlich durchdacht worden. Zeugnis davon legen insbesondere Institute des Sachenrechts ab, beispielsweise das dingliche Vorkaufsrecht, die Hypothek und die Vormerkung.
Bis zur Jahrtausendwende ins 20. Jahrhundert bestimmte die Begriffsjurisprudenz die deutsche Rechtswissenschaft. In der Zeit änderte sich auch das Verhältnis der juristischen Dogmatik zur Rechtsgeschichte. Jhering selbst und andere Anhänger der Dogmatik waren davon ausgegangen, dass eine seit Jahrtausenden arbeitende Jurisprudenz alle juristischen Grundbegriffe bereits hervorgebracht hätte, was zu wiederkehrenden Rückgriffen auf alte Rechtsordnungen führte. Nach 1900 setzten sich die Interessensjurisprudenz und die Interpretationstheorie der Wertungsjurisprudenz durch.
Rechtliches Umfeld
Im Zivilrecht des 19. Jahrhunderts gab es kaum Gesetze, insbesondere keine, die den Ansprüchen des Vorbilds der Historischen Rechtsschule gerecht geworden wären. Das führte zur Konstruktion des Pandektenrechts, mittels dessen die historisch ohnehin legitimierten Grundlagen des römischen Rechts herangezogen wurden. Andererseits hatte das moderne Naturrecht zuletzt etliche Begrifflichkeiten logisch und systematisch zu definieren geholfen, sodass sich methodische Überlegungen anstellen ließen, das Recht auf dieser Entwicklungsstufe, begleitet durch die Denkströmungen der exakten Naturwissenschaften, in einen begrifflichen Positivismus überzuleiten. Der sollte es leisten, die dann noch bestehenden Gesetzeslücken mittels der Reinheit der Begrifflichkeiten und seinen Abstraktionen sinnvoll so zu schließen, dass dem Richter rechtsschöpfender Handlungsspielraum entzogen wäre.
Die soziale Frage hingegen war aus dem Recht konsequent ausgeschlossen worden. Nachdem aus der Begriffsjurisprudenz sich erst zaghaft, dann forscher, die Interessensjurisprudenz zu etablieren begann, änderte sich die Einstellung wieder. Diese verlangte nämlich, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwecke ins Recht einbezogen würden. Damit war der Weg für eine neue Disziplin, die Rechtssoziologie, geebnet. Diese setzte sich vollends in Widerspruch zur pandektistischen Begriffsjurisprudenz, was in der Forschung allerdings zu unterschiedlichen Bewertungen führte, soweit allein nur die unterschiedlichen Interpretationen bei Eugen Ehrlich und Max Weber miteinander verglichen werden.
Quellen
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