Ersitzung (lat. usucapio) ist der Erwerb an Sachen im Sinn des bürgerlichen Rechts durch Zeitablauf und Besitz.
Allgemeines
Eigentum kann auf verschiedene Weisen erworben werden. Die Ersitzung ist eine davon. Wer eine Sache „ersitzt“, der hat sie vorher über eine bestimmte Zeit hinweg in einer bestimmten Weise besessen (daher die Bezeichnung: qualifizierter Besitz). Besitz und Eigentum sind aus juristischer Sicht nicht dasselbe.
Folgendes Beispiel mag die Ersitzung verdeutlichen: Wenn sich herausstellt, dass der Veräußerer einer Sache weder deren Eigentümer war noch sonst über die Sache verfügungsbefugt gewesen ist, so kann der Erwerber aus einem Rechtsgeschäft mit dem „Veräußerer“ an dem Gegenstand des Rechtsgeschäfts zwar bestenfalls den Besitz erlangen, nicht aber das Eigentum daran. Ist also ein von dem vorherigen Eigentümer abgeleiteter (derivativer) Eigentumserwerb misslungen, so kann der Besitzer trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen Eigentum an der Sache erwerben. Dabei handelt es sich dann um einen eigenständigen (originären) Erwerb.
Nach Ablauf der Ersitzungsfrist gehört die Sache dem Ersitzenden. Der bisherige Eigentümer verliert sein Recht. Ihm steht auch kein Wertersatzanspruch gegen den Erwerber zu.
Die Ersitzung ist sowohl eine Art des originären Eigentumserwerbs als auch eine Möglichkeit des Rechtserwerbs an einer Servitut.
Die Ersitzung kommt in folgenden Formen vor:
Eigentliche Ersitzung
Sie ist die „klassische“ Form der Ersitzung, die „Ersitzungsbesitz“ (also rechtmäßigen, redlichen und echten Besitz) erfordert. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie das fehlende Eigentum des Vormannes durch den Ablauf der Zeit ersetzt. Die Ersitzungsfrist ist für bewegliche Sachen 3 Jahre, für unbewegliche 30 Jahre.
Der durch Rechtmäßigkeit, Redlichkeit und Echtheit qualifizierte Besitz ist durch die Actio Publiciana besonders geschützt.
Uneigentliche Ersitzung
Sie erfordert bloß redlichen und echten Besitz. Ein Titel (beispielsweise Kauf, Tausch, Schenkung), also rechtmäßiger Besitz, ist nicht erforderlich. Die Ersitzungsfrist beträgt hier, unabhängig von der Beweglichkeit der Sache, 30 Jahre.
Auf diese Art können auch Servituten, wie beispielsweise Wege- oder Fahrrechte, ersessen werden. Verhindert der Eigentümer einer Liegenschaft 30 Jahre hindurch nicht beispielsweise die Benützung eines Weges durch den Nachbarn, so kommt es zum (außerbücherlichen) Rechtserwerb an der Servitut. Um gutgläubigen lastenfreien Erwerb entsprechend dem negativen Publizitätsprinzip – was nicht eingetragen ist, gilt nicht – zu verhindern, ist hier eine möglichst baldige Eintragung zu empfehlen.
„Freiheitsersitzung“
Wenn eine Dienstbarkeit („Servitut“) im obigen Sinn ersessen worden ist, der Eigentümer des dadurch belasteten („dienenden“) Grundstücks aber die Ausübung der Dienstbarkeit tatsächlich behindert (indem er zum Beispiel den Servitutsweg absperrt oder unbefahrbar macht), erlischt diese Dienstbarkeit nach drei Jahren. Um das zu verhindern, muss vor Ablauf der Frist eine Klage bei Gericht einlangen.
Auch Dienstbarkeiten, die nicht durch Ersitzung erworben wurden, erlöschen durch Freiheitsersitzung. Wenn die Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist, wird nach Ablauf von drei Jahren ab Errichtung des Hindernisses der Grundbuchsstand unrichtig (weil die eingetragene Dienstbarkeit durch Freiheitsersitzung untergegangen ist). Der Eigentümer des dienenden Grundstücks kann auf Löschung der unrichtig gewordenen Eintragung klagen.
Solange eine erloschene Dienstbarkeit im Grundbuch noch eingetragen ist, kann sie im Vertrauen auf den Grundbuchsstand gutgläubig erworben werden. Gutgläubigkeit setzt aber voraus, dass für den Erwerber nicht erkennbar ist, dass der Ausübung tatsächlich ein Hindernis entgegensteht.
Praktische Bedeutung
Da die eigentliche Ersitzung rechtmäßigen Besitz, also einen Titel wie Kauf, Tausch oder Schenkung erfordert, ist sie da von Bedeutung, wo ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten nicht erfolgen konnte (beispielsweise weil nicht vom Gewerbsmann erworben wurde): Der beispielsweise Käufer einer beweglichen Sache hat weder primär derivativ erworben, noch sekundär gutgläubig erworben, kann aber letztlich doch – Redlichkeit während der gesamten Frist freilich vorausgesetzt – nach Ablauf der 3 Jahre durch Ersitzung Eigentum erwerben.
Bei Liegenschaften kann es vorkommen, dass die Liegenschaft zwar übergeben wird, die Einverleibung ins Grundbuch jedoch unterbleibt. Dadurch hat der Übernehmer zwar Besitz (Naturalbesitz), jedoch noch kein Eigentum erworben. Nach Ablauf der 30-jährigen Frist wird er durch Ersitzung (außerbücherlich) Eigentümer. In der Zwischenzeit ist er, vorausgesetzt er ist rechtmäßiger Besitzer, durch die Actio Publiciana vindikatorisch wie negatorisch geschützt.