Das Europarecht ist das überstaatliche Recht in Europa.
Der Begriff gilt als Abbild „des begrifflichen Daches für mehrere rechtliche Ordnungen (Internationale Organisationen), die vielfältig miteinander verflochten sind“, und „zeitgeschichtlich/politisch ihrerseits – ebenso wie EG/EU – Bestandteil des europäischen Einigungswerkes sind“.
Man unterscheidet zwischen Europarecht im weiteren Sinne und Europarecht im engeren Sinne. Das Europarecht im engeren Sinne bezeichnete traditionell das Gemeinschaftsrecht, also das Recht der Europäischen Gemeinschaften einschließlich der innerstaatlichen Umsetzung; durch die institutionelle Umformung beginnend mit dem Vertrag von Maastricht 1992 wurde es überwiegend in das Recht der Europäischen Union, Unionsrecht genannt, überführt; daneben verbleibt als Gemeinschaftsrecht noch das Recht der Europäischen Atomgemeinschaft, die mit der EU institutionell verbunden ist. Das Europarecht im weiteren Sinne umfasst darüber hinaus auch das Recht der anderen europäischen internationalen Organisationen.
Es kann, wie der nach Art. 6 EU-Vertrag beabsichtigte Beitritt der EU zur EMRK des Europarates zeigt, keine klare und widerspruchsfreie Trennung zwischen beiden Ordnungen des Europarechts gezogen werden. (Europäische) Integrationals „Zustand, Prozeß und Ziel“ ist ein ständiger Veränderung unterworfener, evolutiver Vorgang. Die dem Europarecht zugrunde liegende Regelungsmaterie Europa ist und bleibt vorläufig eine „Baustelle“.
Europarecht im engeren Sinne
Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wird das Recht der Europäischen Union als Unionsrechtbezeichnet Das Recht der mit der EU institutionell verbundenen, rechtlich aber weiterhin eigenständigen Europäischen Atomgemeinschaft steht jedoch gleichberechtigt neben dem Unionsrecht.
Das Unionsrecht grenzt sich vom Völkerrecht (und dem dazugehörenden Europarecht im weiteren Sinne) insbesondere durch zwei Eigenarten ab, die sein Verhältnis zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten betreffen: seine teilweise unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten ohne nationalen Umsetzungsakt und den Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem mitgliedstaatlichen Recht. Unionsrecht ist[7] eine supranationaleRechtsordnung eigener Art, die als überstaatliches, aber nicht als gewöhnliches Völkerrecht zu klassifizieren ist. Der korrekte Begriff seit dem Lissabonvertrag ist dementsprechend Unionsrecht, während Gemeinschaftsrecht nur noch historischen Wert hat.
Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gelten diese Aussagen streng genommen nicht. Es ist eher völkerrechtlich organisiert; das zeigt sich insbesondere daran,
- dass Entscheidungen einstimmig getroffen werden,
- dass sich die gefassten Beschlüsse an die Mitgliedstaaten und die Organe der Union, nicht aber unmittelbar an die Bürger richten und
- dass der Gerichtshof der Europäischen Union – vom Fall des Art. 275
Abs. 2 AEUV abgesehen – in diesem Bereich nicht zuständig ist. Es können also weder die Verpflichtungen aus den Beschlüssen im Rahmen der GASP eingeklagt noch können Rechtsakte in diesem Gebiet angefochten werden.
Das Europarecht im engeren Sinne besteht aus dem Primärrecht und dem ihm untergeordneten Sekundärrecht; besondere Bedeutung hat daneben die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
Primärrecht
Das Primärrecht bildet die zentrale Rechtsquelle des Europarechts im engeren Sinne. Es besteht aus den zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Verträgen (Gründungs-, Revisions- und Beitrittsverträge). Die Mitgliedstaaten haben weiterhin die „verfassungsgebende Gewalt“ und werden daher als „Herren der Verträge“ bezeichnet. Die wichtigsten primärrechtlichen Verträge sind heute der Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag), auch die Verträge genannt (Art. 1 Abs. 2 S. 1 AEUV). Daneben ist auch der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom-Vertrag) noch immer gültig. Auch zum Primärrecht gehören die diesen Verträgen beigefügten Protokolle, die jeweils ganz spezifische Belange regeln, jedoch „als Bestandteil der Verträge“ gegenüber den EUV-/AEUV-Bestimmungen als rechtlich gleichwertig gelten (Art. 51 EUV).
Sekundärrecht
Das Sekundärrecht (vom Primärrecht abgeleitetes Recht) sind die auf Grundlage des Primärrechts von den Organen der Europäischen Union oder der Europäischen Atomgemeinschaft erlassenen Rechtsakte.
Das Sekundärrecht darf nicht gegen das Primärrecht verstoßen. Bei einem Verstoß gegen das Primärrecht kann der Europäische Gerichtshof das Sekundärrecht für nichtig erklären.
Art. 288 AEUV sieht folgende Rechtsakte vor:
- Verordnung (allgemeine Regelung mit unmittelbarer innerstaatlicher Geltung; entspräche im staatlichen Recht einem Gesetz)
- Richtlinie (allgemeine Regelung, die von den Mitgliedstaaten innerhalb einer bestimmten Frist in staatliches Recht umzusetzen ist; sie ist hinsichtlich des Zieles verbindlich, überlässt den Mitgliedstaaten jedoch die Wahl der Form und der Mittel)
- Beschlüsse (verbindliche Regelung im Einzelfall; eine Entscheidung ist nur für die darin bezeichneten Adressaten verbindlich; entspräche im staatlichen Recht einem Verwaltungsakt)
- Empfehlungen und Stellungnahmen (rechtlich nicht verbindlich)
Für diese Rechtsakte sind bestimmte Verfahren der Rechtsetzung als Regelverfahren festgelegt; vielfach weichen jedoch die Vorschriften für einzelne Politikbereiche von diesen Regelverfahren ab. Der überwiegende Anteil der Rechtsakte wird im Rahmen der Komitologie umgesetzt.
Zu den einzelnen Verfahrensarten siehe: Rechtsetzung der Europäischen Union
Nicht in Art. 288 AEUV genannte Rechtsakte sind von der Union geschlossene völkerrechtliche Verträge und sog. unspezifische Beschlüsse.
Europarecht im weiteren Sinne
Das Europarecht im weiteren Sinne schließt − neben dem Europarecht im engeren Sinne − auch das Recht anderer europäischer Organisationen mit ein. Zu nennen sind vor allem der Europarat mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und die EFTA. Weitere europarechtliche Abkommen und Organisationen sind:
- die Europäische Sozialcharta
- die Europäische Menschenrechtskonvention (mit dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eingerichtet wurde)
- der Europäische Wirtschaftsraum (EWR)
- das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ)
- das Europäische Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR)
- das Schengener Durchführungsübereinkommen (vor seiner Einbeziehung in EU-Recht mit dem Vertrag von Amsterdam)
- die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
- die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
- die Westeuropäische Union (bis zu ihrer Auflösung 2010)
Diese Abkommen sind völkerrechtliche Verträge zwischen den teilnehmenden Staaten. Ihr Recht berechtigt und verpflichtet daher nur die Staaten selbst, erzeugt aber aus sich heraus keine unmittelbare Rechtswirkung innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnungen; dazu bedarf es einer innerstaatlichen (verfassungsrechtlichen) Geltungsnorm (zum Beispiel Art. 93 der niederländischen Verfassung) oder eines staatlichen Umsetzungsaktes. Damit unterscheiden sie sich vom Europarecht im engeren Sinne, das nach dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts auch ohne mitgliedstaatlichen Umsetzungsakt unmittelbare Anwendung finden kann (so EU-Verordnungen und unter Umständen auch EU-Richtlinien).
Zwischen den im weiteren Sinne europarechtlichen Abkommen und dem Europarecht im engeren Sinne gibt es zahlreiche Schnittstellen. Beispielsweise werden die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof auch im Rahmen des EWR-Abkommen tätig. Der Europäische Gerichtshof greift für die Gewinnung von Grundrechten auch auf die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zurück; der Vertrag von Lissabon sieht (daher) sogar den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention vor (Art. 6 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union).
Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Europarecht, zuletzt abgerufen am 26.02.2019
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