Strafzwecktheorie

Die Strafzwecktheorien beschäftigen sich mit der Legitimation und dem Sinn und Zweck staatlichen Strafens. Man unterscheidet zwei Arten von Strafzwecktheorien: absolute und relative Theorien. Im deutschen Strafrecht werden beide Strafzwecktheorien unter der Bezeichnung „Vereinigungstheorie“ berücksichtigt.

Straftheorien und ihr Gegenstand

Der Begriff „Straftheorie“ ist gebräuchlich. Auch spricht man von „Sinn und Zweck“ des Strafens. „Strafzwecktheorien“ bilden dagegen nicht nur eine Unterform der „Straftheorien“, dieses Wort wird auch selten allein verwendet, es entspricht aber der Sicht vieler Spezialisten, die vor allem vorrangig auf den Zweck der Vorbeugung, die Prävention, setzen. Die nachfolgend aufgeführten Straftheorien und auch ihre Kritik zeigen den vorherrschenden Diskussionsstand in Deutschland auf.

Vorherrschend vertreten wird in Rechtsprechung und Lehre die so genannte Vereinigungstheorie. Drei unterschiedliche Ansätze sucht sie zu vereinen, die so genannte „absolute“, weil zweckfreie (philosopisch-idealistische) Straftheorie der Gerechtigkeit und die beiden „relativen“, weil zweckgerichteten Straftheorien, die generalpräventive (soziale) Ansicht und die individualpräventive (empirische) Lehre.

Strafe meint insbesondere die Zufügung eines realen Übels im Sinne eines Rechtsnachteils gemäß Art. 5 EGStGB. Dabei steht Übel generell für alles, was Menschen gewöhnlich nicht wünschen, dass es ihnen angetan werde: Schmerz, Leiden, aber auch Freiheitseinschränkungen, Benachteiligungen und Entzug von Vorteilen.

Eine Sonderrolle nimmt der öffentliche Schuldspruch ein, der einen sittlichen Makel beinhaltet. Insbesondere dient er der generalpräventiven Aufgabe, die vom Täter in Frage gestellte Geltung der ursprünglichen Normordnung auf kommunikative Weise zu bekräftigen. Insofern spricht man auch vom expressiv-normativen Charakter des Strafens, gemeint als Widerspruch gegen das Seindürfen der Tat.

Die Unschuldsvermutung des Art 6 II EMRK, die bis zur Rechtskraft des Urteils gilt, sucht auf der faktischen Ebene die stigmatisierende Wirkung des Strafprozesses auszugleichen, die mit der Beschuldigtenrolle verbunden ist und die den Beschuldigten insbesondere mit der Verlesung der öffentlichen Anklage trifft.

Die absolute Straftheorie der Gerechtigkeit

Absolute Straftheorien dienen dem Schuldausgleich und der Wiederherstellung der Gerechtigkeit.
Die absoluten Theorien verfolgen keine sozial nützlichen Zwecke und sind deshalb von gesellschaftlichen Auswirkungen der Strafe losgelöst lat.: absolutus losgelöst. Sie beziehen ihre Legitimation einzig aus einem metaphysischem Prinzip von Gerechtigkeit und werden unterteilt in Vergeltungs-und Sühnetheorie.

Die Vergeltungstheorie

Diese Theorie möchte das durch die Handlung des Täters geschaffene Unrecht durch die Strafe aufwiegen, um die verletzte Rechtsordnung auf diese Weise wiederherzustellen. Sie dient dem Schuldausgleich und stellt auf diese Weise die Gerechtigkeit wieder her.

Die Sühnetheorie

Sie setzt die Täterpsychologie in den Mittelpunkt, der sich durch Buße wieder mit der Rechtsordnung versöhnen soll. Da Versöhnung allerdings Freiwilligkeit voraussetzt, ist fraglich, inwieweit eine staatlich verhängte Strafe einen solchen freiwilligen Akt hervorrufen kann.

Die Theorie vom Schuldausgleich

Sie modernisiert die Sühnetheorie und verbindet dazu das personale Schuldprinzip mit dem „absoluten“ Gedanken des gerechten Ausgleichens. Aber vielfach erscheint sie nicht in der Auflistung der absoluten Straftheorien.

Vor- und Nachteile

Vorteile

Der Vorteil der absoluten Straftheorie ist, dass sich die Höhe der Strafe nach der begangenen Tat richtet, frei nach dem Prinzip „Auge um Auge“ „Talionsprinzip“. Dies kann richterliche Willkür, wie etwa die Statuierung eines Exempels, verhindern und wirkt somit auch freiheitsbewahrend. Bei Tatschuldausgleich kann nunmehr auch das Ausmaß der persönlichen Schuld mitberücksichtigt werden.

Nachteile

Die absolute Straftheorie bedeutet in ihrer Anwendung den Versuch der Verwirklichung einer postulierten metaphysischen Gerechtigkeit, deren Konzept in Frage gestellt werden kann. Sie steht dem entgegen, dass viele heutige Staaten die Legitimation ihrer Gewalt von den Bürgern und nicht von Gott ableiten. Die absolute Straftheorie hat dabei Auswirkungen, die nicht dem Interesse des Einzelnen entsprechen:

  • Die absolute Straftheorie fordert auch dann eine Strafe, wenn diese gesellschaftlich nicht notwendig ist. So vertrat etwa Kant die Ansicht, dass – auch wenn der Staat und die Gesellschaft sich auflösten – noch “der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat”.
  • Die Verfolgung der Vergeltungstheorie kann in der Praxis zu sozial unerwünschten Folgen führen, wie etwa Sozialisationsschäden, die oft Ursache für die Verübung von Verbrechen sind. Die Gesellschaft würde somit vor Verbrechen unter Umständen nicht stärker, sondern eventuell sogar weniger geschützt.
  • Das Schuldprinzip beruht auf der Unterstellung der nicht beweisbaren Willensfreiheit des Menschen und gründet auf der Behauptung, der Täter hätte im Willen anders handeln können, schwerste Sanktionen. Auch folgt aus dem Prinzip der Eigenverantwortung nicht die staatliche Zwangsstrafe, sondern die freiwillige Übernahme einer Buße.

Relative Straftheorien

Die relative Straftheorie lat.: relatus bezogen auf hingegen ist präventiv orientiert und dient der Verhinderung künftiger Straftaten. Sie unterteilt sich in die Generalprävention und die Spezialprävention auch: Individualprävention.

Generalprävention

Die Generalprävention zielt auf den Schutz der Allgemeinheit ab und nimmt damit den sozialwissenschaftlichen Blickwinkel der Gesellschaft ein. Sie unterteilt sich weiter in positive und negative Generalprävention:

  •  positiv: Die positive Generalprävention soll das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsordnung stärken. Dabei lassen sich drei unterschiedliche, ineinander übergehende, Ziele und Wirkungen herausarbeiten: die Einübung der Rechtstreue als Lerneffekt; der Vertrauenseffekt, der sich ergibt, wenn der Bürger sieht, dass das Recht sich durchsetzt; und der Befriedigungseffekt, der sich einstellt, wenn sich das allgemeine Rechtsbewusstsein auf Grund der Sanktion beruhigt und den Konflikt mit dem Täter als erledigt ansieht.
    • Kritik: Das Schuldprinzip, teils als Ausdruck der Menschenwürde verstanden, verbietet es, einen Täter mit schuldunangemessenen Strafen zu belegen, nur um Abschreckungseffekte bei der Bevölkerung zu erzielen.
  • negativ: Die negative Generalprävention soll die Gesellschaft von der Begehung einer Tat abschrecken, indem ins Bewusstsein gerufen wird, welche Strafen folgen können
    • Kritik: Das Abstellen auf generalpräventive Zwecke hat zwar den Vorteil, dass andere Menschen in der Tat von der Begehung von Unrecht abgehalten werden können, allerdings darf nicht übersehen werden, dass viele Straftaten trotz der dem Täter bekannten Strafandrohung aus einem spontanen Entschluss heraus und ohne vernünftige Abwägung hinsichtlich der Folgen begangen werden. Auch noch so hohe Strafandrohungen führen nicht dazu, dass künftig keine Straftaten mehr begangen werden.

Spezialprävention

Die Spezialprävention zielt auf die tatsächliche Gefährlichkeit des Täters selbst ab und verfolgt damit eine empirisch-kriminologische Sicht. Sie unterteilt sich ebenfalls in positive und negative Spezialprävention Franz von Liszt:

  • positiv: Die positive Spezialprävention soll zur Besserung des Täters und seiner Resozialisierung führen. Positive Sanktionen sind z. B. Lob, Belohnung, Auszeichnung.
    • Kritik: Was ist mit völlig resozialisierten Tätern und mit Tätern, die sich nicht resozialisieren lassen?
  • negativ: Die negative Spezialprävention möchte die Allgemeinheit vor dem Täter schützen und den Täter durch Strafe davon abbringen, nochmals eine Tat zu begehen. Negative Sanktionen können z. B. sein: Tadel, Anzeige, Schmerzensgeld, Sicherungsverwahrung.
    • Kritik: Besteht keine Begrenzung des Strafmaßes, so ist fragwürdig, inwieweit der Staat einen Täter über dessen abgesessene Strafe hinaus festhalten darf Sicherungsverwahrung.

Literatur

  • Tatjana Hörnle, ”Straftheorien”, Mohr-Siebeck, Tübingen 2011, ISBN 978-3-16-150908-7
  • Hans-Heinrich Jescheck / Thomas Weigend, ”Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil”, 5. Aufl. 1996
  • Claus Roxin: ”Strafrecht Allgemeiner Teil. Band 1”. 4. Auflage, München 2006
  • Karl Lackner/ Kristian Kühl, ”Strafgesetzbuch”, 27. Aufl. 2011
  • Johannes Wessels/ Werner Beulke, ”Strafrecht Allgemeiner Teil”, 42. Aufl. 2012
  • Urs Kindhäuser, ”Strafrecht, Allgemeiner Teil”, 6. Aufl. 2013
  • Rudolf Rengier, ”Strafrecht, Allgemeiner Teil”, 4. Aufl. 2012, § 3 II
  • Norbert Kühne; M. Gewicke-Schopmann; H. Harder-Kühne: ”Psychologie für Fachschulen und Fachoberschulen”. Bildungsverlag EINS, Troisdorf 2006. ISBN 3-427-04150-6, 8. Auflage zur lerntheoretischen Straftheorie S. 51f

sowie auch:

  • Peter-Alexis Albrecht: ”Kriminologie”. 2. Auflage, München 2002
  • Peter Zihlmann: ”Macht Strafe Sinn?.” Zürich 2002, Vgl. www.peter.zihlmann.com
  • Helmut Ortner: ”Freiheit statt Strafe”. Originalausgabe, Frankfurt/Main 1981
  • Rolf Schmidt: Strafrecht Allgemeiner Teil. 9. Auflage 2010
  • Axel Montenbruck: ”Zivilreligion. Eine Rechtsphilosophie II. Grundelemente: Versöhnung und Mediation, Strafe und Geständnis, Gerechtigkeit und Humanität aus juristischen Perspektiven.” 3. erheblich erweiterte Auflage. Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, 2011. http://edocs.fu-berlin.de/docs/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDOCS_derivate_000000001784/Zivilreligion_II_3_Auflage.pdf?hosts=open access.
  • Bernd-Dieter Meier, ”Strafrechtliche Sanktionen”, 3. Auflage 2009

Quellen & Einzelnachweise

  1. Zur Diskussion und zur Vereinigungstheorie siehe aus der Sicht der Strafrechtswissenschaft: Hans-Heinrich Jescheck / Thomas Weigend, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 8 V; Karl Lackner/ Kristian Kühl, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2011; § 46 Randnummer 1 ff. Aus der Sicht der (Straf-) Rechtsphilosophie: Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1997, 161; Axel Montenbruck: Zivilreligion. Eine Rechtsphilosophie II. Grundelemente: Versöhnung und Mediation, Strafe und Geständnis, Gerechtigkeit und Humanität aus juristischen Perspektiven. 3. erheblich erweiterte Auflage. Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, 2011, 6. Kap II (open access). Aus der Sicht des Sanktionenrechts: Bernd-Dieter Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 3., aktualisierte Aufl. 2009. S. 18 ff. Aus der Sicht der Rechtsprechung in Strafsachen: BGH St 28, 318, 326. Aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts grundlegend: BVerfG 45, 187 ff., 253 ff.
  2. An diese wenig beachtete gesetzliche Definition erinnert Klaus Rogall, Strafe als Mittel der Abschreckung, in: Brigitte Zöller (Hrsg.), Mit Strafen leben?, 1997, 236 ff., 239
  3. Zur Bedeutung des Schmerzes: Heike Jung, Was ist Strafe? Ein Essay, 2002, 16 f., sowie Guido Britz, Strafe und Schmerz – eine Annäherung in: Guido Britz/ Heike Jung/ Heinz Koriath/ Egon Müller (Hrsg.), Grundfragen staatlichen Strafens. Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag, 2001, 73 ff.; Werner Gephart, Strafe und Verbrechen. Die Theorie Emile Durkheims, 1990, 122; Montenbruck, Axel, Strafrechtsphilosophie (1995–2010): Vergeltung, Strafzeit, Sündenbock, Menschenrechtsstrafe, Naturrecht. 2. erweiterte Auflage, Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, Berlin, 2010 (online), Randnummer 306 ff.
  4. Nikolaos Androulakis, Über den Primat der Strafe. ZStW 108 (1996), 300 ff., 303, zugleich mit einem Überblick über die Probleme der von den Strafzwecken und -gründen abhängigen Definition des Strafe.
  5. Generell in diesem Sinne: Jean-Claude Wolf, Verhütung oder Vergeltung? Einführung in ethische Straftheorien, 1992, 18 m.w.N.
  6. Zitiert in: Heribert Ostendorf, Vom Sinn und Zweck des Strafens. Website der Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen am 5. November 2012
  7. Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil. Band I, §3 Rn. 9, siehe Literatur

http://de.wikipedia.org/wiki/Straftheorie09.12.2014

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