Der Grundsatz „In dubio pro libertate“ ist in der österreichischen Rechtsordnung nicht explizit kodifiziert, jedoch ergibt er sich aus den allgemeinen Prinzipien des österreichischen Rechts. Dieser lateinische Ausdruck bedeutet „Im Zweifel für die Freiheit“ und wird vor allem im Bereich des Verwaltungsrechts und teilweise im Verfassungsrecht relevant.
In Österreich bezieht sich „In dubio pro libertate“ darauf, dass im Zweifelsfall eine Entscheidung zugunsten der Freiheit einer Person gefällt werden sollte, insbesondere wenn es um Grundrechte oder Grundfreiheiten geht. Dies steht im Einklang mit dem Schutz und der Vorrangigkeit der persönlichen Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat. Besonders relevant ist dies bei der Auslegung von unklaren Gesetzen und Verordnungen, wenn es um die Beschränkung oder den Entzug von Rechten geht.
Ein konkretes Beispiel in Österreich ist die Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen im Verwaltungsrecht oder bei Ermessensspielräumen der Verwaltungsbehörden. Hier sollte im Zweifelsfall zugunsten der Freiheit und der Interessen des Individuums entschieden werden. Dies könnte besonders in Fällen relevant sein, wo es um die Versammlungsfreiheit geht, geregelt in Artikel 12 des Staatsgrundgesetzes von 1867, das in Österreich nach wie vor Gültigkeit hat. Die Behörden müssen hier stets eine Abwägung zwischen der öffentlichen Ordnung und der individuellen Freiheit vornehmen und im Zweifel Letzterem den Vorzug geben.
Ein weiteres Beispiel stellt das Aufenthaltsrecht dar, wo bei unklaren Regelungen das Recht auf Familienleben nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich den Rang eines Verfassungsrechts besitzt, berücksichtigt werden könnte. In solchen Fällen sollte eine Entscheidung zugunsten der Aufrechterhaltung von Aufenthaltsrechten im Sinne des Schutzes des Privat- und Familienlebens getroffen werden.
In der praktischen Anwendung zeigt sich „In dubio pro libertate“ als ein wesentlicher Bestandteil der Auslegungspraxis, der sicherstellt, dass die Freiheitsrechte der Individuen nicht leichtfertig eingeschränkt werden. Die österreichische Rechtsordnung legt großen Wert auf den Schutz der Grundrechte und Freiheiten, sodass solche Prinzipien oft implizit in die Entscheidungen der Gerichte und Behörden einfließen.