Kalte Progression ist die Steuermehrbelastung, die im zeitlichen Verlauf entsteht, wenn die Eckwerte eines progressiven Steuertarifes nicht an die Preissteigerungsrate angepasst werden. Im weiteren Sinne wird darunter auch die Steuermehrbelastung verstanden, die dann eintritt, wenn die Tarifeckwerte nicht an die durchschnittliche Einkommensentwicklung angepasst werden. Dagegen gehört jene progressive Besteuerung, die lediglich auf die Einkommensunterschiede zwischen den Steuerpflichtigen in ein und demselben Veranlagungszeitraum abzielt, nicht zu diesem Sachverhalt.
Seltener wird auch das Schlagwort Fiskalische Dividende für die kalte Progression verwendet.
Definition
Zum besseren Verständnis muss zunächst zwischen zwei Begriffen unterschieden werden:
- Nominaleinkommen (Das ist das in Geld bewertete Einkommen ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Kaufkraft.)
- Realeinkommen (Das entspricht den Waren und Dienstleistungen, die man aufgrund der aktuellen Preise kaufen kann.)
Kalte Progression im engeren Sinne
Die kalte Progression im engeren Sinne ist die Steuermehrbelastung, die im Zeitablauf dann eintritt, wenn bei einem progressiven Einkommensteuertarif der Grundfreibetrag und die Tarifkennlinie nicht an die Preissteigerungsrate angepasst werden. In der nebenstehenden Grafik wird die relative Belastung durch die kalte Progression in Abhängigkeit von dem zu versteuernden Einkommen und der Inflation dargestellt. Die kalte Progression führt vor allem bei unteren und mittleren Einkommen zu einer relativ höheren Belastung durch die Einkommensteuer, wobei die Auswirkung am Endpunkt einer Progressionszone am höchsten ist.
Dabei besteht das Problem, einen Wert für die tatsächlich relevante Inflation zu ermitteln. Verschiedentlich wird unterstellt, staatliche Stellen würden die tatsächliche Inflation verschleiern und zu niedrige Werte veröffentlichen. Abgesehen von der hier oft angeführten hedonischen Methode und Umschichtungen im Warenkorb hängt die individuelle Teuerungsrate auch vom jeweiligen Konsumverhalten ab. Jemand mit geringem Einkommen hat ein anderes Konsumverhalten als jemand mit mittlerem oder hohem Einkommen. Anstelle der Annahme eines einzigen Wertes für die Preissteigerung über alle Einkommensklassen kann es daher sinnvoll sein, für die unterschiedlichen Einkommensgruppen auch unterschiedliche Inflationsraten zu verwenden.
Kalte Progression im weiteren Sinne
Von der kalten Progression im engeren Sinne wird in der Fachliteratur die kalte Progression im weiteren Sinne unterschieden. Dies ist die Steuermehrbelastung, die dann eintritt, wenn Grundfreibetrag und Tarifkennlinie nicht an die durchschnittliche Entwicklung des Nominaleinkommens angepasst werden. In diesem Fall wächst das Steueraufkommen stärker als die Bemessungsgrundlage. Darum wird die kalte Progression im weiteren Sinne auch heimliche Steuererhöhung genannt.
Ob der Steuertarif regelmäßig an die nominale Einkommensentwicklung angepasst werden sollte, ist umstritten. Je nach Tarifstruktur könnte es als sinnvoll angesehen werden, Entlastungen stärker im unteren und mittleren Einkommensbereich zu konzentrieren.
Missverständnisse
Eine Lohnerhöhung führt unter keinen Umständen dazu, dass nach der Lohnerhöhung weniger Geld in der Tasche ist als vorher, auch wenn dieser Eindruck in der öffentlichen Diskussion, vor allem von Politikern und einigen Medien, immer wieder erweckt wird. Jedoch bewirkt die kalte Progression eine Verringerung des Realeinkommens, wenn die Einkommenssteigerung nach Steuerabzug nicht höher ist als die Inflationsrate. Daher wird dies teilweise als ein Problem der Einkommensentwicklung und nicht des Steuersystems gesehen. Einzelheiten können dem Abschnitt Berechnung entnommen werden.
Eine Kompensation der kalten Progression führt nicht zwangsläufig zu Mindereinnahmen des Staates, wenn die Zunahme der Steuereinnahmen auf den reinen Ausgleich der Inflation beschränkt wird und die Einkommen entsprechend steigen. Ein Verzicht auf die Kompensation der kalten Progression führt dagegen bei steigenden Einkommen zu einer heimlichen Steuererhöhung.
Beseitigungsmöglichkeit
In Österreich gibt es im Einkommensteuerrecht einen Stufentarif (stufig-progressiver Tarif), der ebenfalls eine kalte Progression auslösen kann. Diese ist an den Übergangsstellen zwischen den Stufen besonders hoch. Die Grafik rechts zeigt, dass die relativen Verluste am Realeinkommen im Bereich der Stufen höher sind als daneben. Das Problem muss hier durch eine geeignete Verschiebung der Eckwerte der Stufen gelöst werden.
So gibt es auch in Österreich eine Diskussion über schleichende Steuererhöhungen. Der Einkommensteuertarif von 2009 wurde schließlich zum 1. Jänner 2016 geändert.
Siehe auch
- Einkommenssteuer
Quellen & Einzelnachweise
- BMF: Der Einkommensteuertarif und seine kalte Progression, 24. April 2013
- W. Scherf: Öffentliche Finanzen, 2. Auflage, S. 297ff.
- vgl. beispielsweise DIW Wochenbericht Nr. 12.2012, Seite 20
- vgl. IMK-Report April 2014, Abschnitt “Kalte Progression: Nüchterne Analyse geboten”, abgerufen am 16. Mai 2014
- vgl. beispielsweise ARD Panorama, Sendung vom 8. Mai 2014, 21:45 Uhr – Die dort verwendete Formulierung: „…und dann rutscht man im Steuersystem auch noch eine Stufe höher und hat damit weniger Geld in der Tasche als zuvor.“ ist irreführend.
- DiePresse.com Kalte Progression: Jedes Jahr eine Steuererhöhung, abgerufen am 3. Mai 2014
- Wirtschaftsblatt.at: Berlin zieht gegen kalte Progression in den Krieg, abgerufen am 3. Mai 2014
Quellen & Einzelnachweise
http://de.wikipedia.org/wiki/Kalte_Progression 02.05.2022
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