Legal Technology, auch bekannt als Legal Tech, bezeichnet Software und Online-Dienste, die juristische Arbeitsprozesseunterstützen oder gänzlich automatisiert durchführen. Solche IT-Produkte werden bisher vor allem von Start-ups entwickelt, die das Ziel verfolgen, effizientere Alternativen zu einzelnen Arbeitsschritten oder ganzen Rechtsdienstleistungen zu schaffen. Begünstigt durch wachsende IT-Potenziale und Digital Natives auf dem Arbeitsmarkt steigt die Bedeutung von Legal Technology für die Rechtsberatung seit einigen Jahren stetig.
Definition
Der Oberbegriff Legal Technology beschreibt zurzeit ein weites Spektrum verschiedener IT-Produkte: Sie eint der gemeinsame Bezug zu Rechtsdienstleistungen; wie und in welchem Maße sie dabei Anwälte unterstützen oder gar ersetzen, unterscheidet sie hingegen drastisch. Der Rechtsprofessor Oliver Goodenough beispielsweise differenziert zwischen so genannten 1.0-, 2.0- und 3.0-Anwendungen.
Legal-Technology 1.0
Erstere bezeichnen vor allem Software zur Büroorganisation, die Anwälte in ihren bisherigen Arbeitsabläufen lediglich assistiert. Teilweise ist auch die Rede von support-process solutions. Angesprochen sind damit beispielsweise verhältnismäßig etablierte IT-Systeme zur digitalen Dokumentenverwaltung, Rechnungslegungsowie Buchhaltung. Ergänzt wird dieses klassische Repertoire neuerdings durch diverse Online-Dienste, die etwa sichere Webkonferenzen mit Mandanten ermöglichen oder das Outsourcingkanzleiinterner Aufträge erleichtern. Im konventionellen Sinne beschreibt Legal Technology ferner juristische Fachdatenbanken zur Rechtsrecherche wie Beck-Online. Auf dieser Stufe von Legal-Tech-Angeboten bewegen sich ferner IT-gestützte Fortbildungsmedien (Legal Education) wie Webinare und Video-Anleitungen. Hinzu kommen auf Ebene der 1.0-Produkte seit jüngerem E-Commerce-Portale, über die zunehmend standardisierte Formen menschlicher Rechtsberatung vertrieben werden. Diese haben sich zum Teil darauf spezialisiert, das Angebot einer ganz bestimmten Kanzlei dafür zu vermarkten, eine eng eingegrenzte Art von Ansprüchen in Massenverfahren durchzusetzen, beispielsweise die Entschädigungsansprüche bei Flugunregelmäßigkeiten nach der Fluggastrechte-VO. In anderer Ausprägung ermöglichen derartige Onlineplattformen die Komplettabwicklung rechtlicher Verfahren für gewisse juristische Standardsituationen, so etwa das Startup Unfallhelden bei Autounfällen oder helpcheck bei fehlerhaften Lebensversicherungsverträgen. Andere Unternehmen haben demgegenüber einen regelrechten Online-Marktplatz eröffnet, auf dem eine Vielzahl von Anwälten ein durch alle Rechtsgebiete gefächertes Spektrum Beratungsleistungen anbieten kann. Zu den ältesten Plattformen dieser Art zählen im deutschen Raum etwa anwalt.de, 123recht.net sowie frag-einen-anwalt.de, die die inserierten Rechtsdienstleistungen nicht weiter tariflich oder thematisch eingrenzen, sondern eher wie Branchenbücher aufgebaut sind.
Legal-Technology 2.0 (automatisierte Rechtsdienstleistungen)
2.0-Dienste verfolgen demgegenüber das Ziel, juristische Arbeitsschritte und Kommunikationsschritte selbstständig anstelle eines menschlichen Sachbearbeiters zu erledigen. Wo sie erfolgreich implementiert werden, können sie sich deutlich disruptiver auf den Rechtsdienstleistungsmarkt auswirken. Sie werden deshalb teilweise auch als substantive law solutions bezeichnet. Anwendungsfelder der 2.0-Technologien ergeben sich inzwischen für nahezu alle Einzelschritte entlang der gesamten juristischen Tätigkeit von der Sachverhaltsaufklärung über die automatische Erstellung juristischer Dokumente wie Verträge und Klageschriften bis zur abschließenden Klärung eines Rechtsstreits per Online-Dispute-Resolution: Mittlerweile stehen in den Vereinigten Staaten und in Ansätzen auch in Deutschland Chatbots zur Verfügung, um rechtlich relevante Tatumstände im Rahmen bestimmter eingrenzbarer Rechtskreise gezielt zu ermitteln und auf dieser Grundlage die Rechtslage zu bewerten und Handlungsvorschläge zu liefern. Soweit einer rechtlichen Prüfung umfangreiche Vertragstexte zugrunde zu legen sind, können Kanzleien des Weiteren auf so genannte E-Discovery-Software zurückgreifen: Dabei dienen E-Discovery-Tools etwa dazu, in der Due Diligence die anwaltliche Prüfung relevanter Verträge zu übernehmen. Automatisierungsmechanismen für den anwaltlichen Schriftverkehr kommen in zwei Geschäftszweigen zum Einsatz: als Kanzleisoftware im B2B-Bereich und zur Verwertung von Eingabedaten, die Verbraucher auf Online-Plattformen hinterlassen. „Digitaler Pionier“ in Sachen automatischer Dokumentenerstellung in Deutschland ist etwa die janolaw AG, die mit janoContract seit 2002 webbasierte Vertragsassistenten anbietet. Ihre Software wird inzwischen auch Kanzleien und Rechtsabteilungen in Lizenz angeboten. Schwerpunkt sind Angebote für Webshops, deren juristische Dokumente per Schnittstelle aktualisiert werden. Ein weiteres Beispiel für derartige Kanzleisoftware ist der DocCreator der Audi AG, mit dem diese wesentliche Verträge teil-automatisch generiert. Anbieter wie Lawlift bieten editierbare Musterformulare und Werkzeuge, mit denen Kanzleien eigene Dokumentvorlagen erstellen können. In Österreich bietet die Plattform Vertragen.at seit Herbst 2018 einen automationsunterstützten Vertragegenerator an. Ein Beispiel für vergleichbar standardisierende Anwendungen im B2C-Bereich ist die weitreichende Automatisierung etwa auf Web-Portalen wie EU-Flightund Ersatz-Pilot: Sie prüfen Entschädigungsansprüche von Flugreisenden anhand von Einträgen in einer Eingabemaske, kaufen von Kunden gegen eine direkte Ersatzzahlung deren Ansprüche und setzen diese Forderungen mit automatisch generierten Schriftsätzen durch. Online-Plattformen zur Dispute-Resolution wurden bislang vor allem in den Vereinigten Staaten und Frankreich eingerichtet, um Auseinandersetzungen mit geringem Streitwert effektiv schiedsgerichtlich beizulegen. Inzwischen gibt es aber auch in Deutschland Lösungen von nicht-staatlichen Anbietern, die eine Schlichtung für Streitigkeiten im E-Commerce anbieten.
Legal-Technology 3.0 (smart contracts und künstliche Intelligenz)
Noch folgenreicher als 2.0-Anwendungen werden 3.0-Technologien eingestuft. Hiermit sind IT-Lösungen angesprochen, die es ermöglichen, nicht bloß einzelne Arbeitsschritte oder simple, eng abgegrenzte Rechtsdienstleistungen autonom zu bewältigen, sondern das Berufsbild menschlicher Anwälte grundlegend zu verändern. Da es sich hierbei zugleich um die anspruchsvollste Gruppe juristischer IT-Anwendungen handelt, ist ihre Entwicklung bisher noch am weitesten von der Marktreife entfernt. Ob und, wenn ja, ab wann entsprechende Vorhaben die anwaltliche Praxis beeinflussen, ist noch ungewiss. Mehrere Unternehmen fokussieren ihre Entwicklungsarbeit jedenfalls einerseits darauf, eine maschinenlesbare Sprache für rechtliche Dokumente wie Verträge (smart contracts) zu schreiben. Ebenso streben einige Firmen an, ein virtuelles, mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Substitut für Anwälte zu programmieren. Ein erstes Zwischenergebnis stellt das auf IBM Watson gestützte Programm ROSS Intelligence dar, wenngleich seine Funktionalität noch sehr begrenzt ist.
Abgrenzung zur Rechtsinformatik
Begrifflich steht Legal Technology dem Feld der Rechtsinformatiknahe. Bei letzterer handelt es sich jedoch um ein Forschungsgebiet, während Legal-Tech-Anwendungen weniger aus einer wissenschaftlichen Diskussion heraus entwickelt wurden, sondern eher inspiriert von IT-Potenzialen in anderen Wirtschaftszweigen und orientiert an den praktischen Bedürfnissen nach bestimmten Rechtsdienstleistungen. Aber nicht nur der unterschiedliche Fokus auf Theorie und Praxis unterscheidet die Rechtsinformatik und Legal Tech; auch inhaltlich variiert ihr Schwerpunkt: Das liegt einerseits daran, dass der Rechtsinformatik nach klassischer Definition vor allem das Informationsrecht bzw. IT-Recht unterfällt.Dieses zielt darauf ab, mithilfe von Normen auszusteuern, wie IT-Infrastrukturen im Spannungsverhältnis widerstreitender rechtlicher Interessen ausgewogen gestaltet und genutzt werden sollen. Legal Technology verfolgt umgekehrt den Anspruch, mithilfe von IT-Lösungen effizienter Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Des Weiteren tangieren nur wenige der bisherigen Legal-Tech-Anwendungen die theoretischen Grundprobleme an der Schnittstelle zwischen Recht und IT, auf die sich die wissenschaftliche Diskussion der Rechtsinformatik konzentriert: Während die Rechtsinformatik sich beispielsweise damit auseinandersetzt, wo die abstrakten Grenzen einer Abbildung von Verträgen oder Gesetzen innerhalb der Computerlinguistik liegen, ist die Praxis bislang noch weit davon entfernt, bis zu diesem Punkt Rechtsquellen in Code abzufassen. Selbst ambitionierte Pioniere in diesem Segment sind auch nach eigenen Angaben bei Weitem noch nicht bis hierhin vorgedrungen.
Ziele und Potenziale
Soweit Legal-Tech-Produkte Anwälte nicht nur in ihrer bisherigen Arbeit unterstützen, sondern Rechtsdienstleistungen teilweise oder vollständig automatisieren, wird ihnen das Potenzial zugesprochen, die Funktionsweise der juristischen Branche im Ganzen zu beeinflussen. Anlass zu dieser Erwartung geben die immensen Effizienzsteigerungen, die man sich davon verspricht, in Standardverfahren den nötigen menschlichen Arbeitseinsatz zu reduzieren und damit unter anderem die Kosten, die Dauer und nicht zuletzt die Fehleranfälligkeit zu senken. Rechtsdienstleister erhoffen sich hiervon insbesondere einen sinkenden Personalbedarf für ihr derzeitiges Leistungsspektrum. Mandanten erwarten ihrerseits, dass sich der mit Legal-Tech realisierbare Effizienzzuwachs künftig in den Rechtsberatungsgebühren widerspiegelt. Makroökonomisch prognostiziert daher beispielsweise Prof. Breidenbach eine „Industrialisierung“ des Rechtsdienstleistungsmarktes, bei der juristische Standardleistungen künftig preiswert automatisiert erbracht werden, während Anwälte sich eher auf Boutique-Lösungen für Spezialfälle konzentrieren. Als Langzeiteffekt verspricht man sich hiervon, breiteren Schichten von Verbrauchern und Kleinunternehmern einen durchgängig bezahlbaren Zugang zu Rechtsbeistand zu verschaffen. Einer Studie der American Bar Association fehlt ein solcher bisweilen noch 80 % der US-Bevölkerung. In Deutschland geht man von bis zu 70 % der Bevölkerung aus. Langfristig könnte Legal Technology ferner dazu beitragen, das Gerichtswesen effizienter und Entscheidungen objektiver zu gestalten. Mit der Online-Dispute-Resolution haben dahingehende Bemühungen bereits die Schiedsgerichtsbarkeit erfasst.
Entwicklung
Wie andere Branchen hat die juristische Praxis ab den 1970er Jahren PCs in ihre Arbeitsabläufe integriert. Machte man anfangs vorrangig von Textverarbeitungsprogrammen Gebrauch, wurden ab der Jahrtausendwende zunehmend anwaltsspezifische Assistenzsoftware entwickelt, darunter Online-Datenbanken zur Rechtsrecherche und Kanzleiorganisationssysteme. Im Übrigen ließen technologische Innovationen anwaltliche Arbeitsabläufe bis vor wenigen Jahren jedoch unberührt. Erst seit ca. 2009 werden zunehmend automatisierende Legal-Tech-Anwendungen entwickelt. Seitdem wuchs allein die Zahl der Start-ups in der Branche bis Mitte 2016 weltweit allein auf 550 Unternehmen, die meisten davon in den Vereinigten Staaten. In Deutschland wurden 2016 bisher nur 33 gelistet; im Vorjahr waren es allerdings erst 20. Eine aktuelle Übersicht über alle relevanten Unternehmen der Branche bildet der Techindex Law der Stanford University ab. Spezifisch zu deutschen Legal Tech Dienstleistern stellt Dominik Tobschall auf seinem Blog eine aktuelle Übersicht zur Verfügung. Der Begriff Legal Tech als Branchenverkürzung für Legal Technology findet sich erst zu Beginn der 2010er Jahr in Deutschland, erste wissenschaftliche Veröffentlichungen folgen 2014. Zuvor war der Begriff vor allem in den USA gebräuchlich und dort insbesondere für die jährliche Messe „Legal Tech New York“. Merklich steigt ab 2015 auch das Interesse der Rechtsdienstleister insgesamt an Austausch und Berichterstattung über Legal-Tech-Lösungen. Inzwischen existieren mit Veranstaltungen wie der LEGAL ®EVOLUTION Expo & Congress, der Bucerius Herbsttagung, der Berlin Legal Tech und dem Kölner Anwaltszukunftskongress diverse fest installierte Treffpunkte der wachsenden Branche. Als regelmäßige informellere Zusammenkünfte entstanden parallel etwa in Frankfurt das Legal Tech & Innovation Forum und Treffen über die Plattform Meetup.com. Ferner hat sich mit der European Legal Technology Association 2016 ein erster Branchenverband in Europa gegründet. Etwa an der Bucerius Law School, der Universität Münster sowie der LMU in München widmen sich seit 2015 auch in Deutschland vereinzelte Hochschulseminare dem Themenkomplex Legal Tech. Seit 2017 existiert an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg das Promotionskolleg „Digitales Recht“.
Literatur
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- Boston Consulting Group, Bucerius Law School (Hrsg.): How Legal Technology Will Change the Business of Law. Hamburg 2016.
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- Breidenbach/Glatz: Rechtshandbuch Legal Tech, Verlag C.H.Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71348-4.
- Forgó/Haberler/Hartung: Legal Tech Rechtsgrundlagen Deutschland & EU, facultas/FlexLEX, Wien 2018, ISBN 978-3-99071-020-3.
Weblinks
- Techindex Law der Universität Stanford (Übersicht derzeitiger Legal-Tech-Startups)
Einzelnachweise
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- Marcel Schneider: Mehr Computer auf den Campus. In: Die neuen Juristen (Legal Tribune Online Sonderausgabe 2016). Wolters Kluwer, Köln 2016, S. 36, 38.
- Roland Vogl: Warum die Zukunft sich Zeit lässt. In: Die neuen Juristen (Legal Tribune Online Sonderausgabe 2016). Wolters Kluwer, Köln 2016, S. 6 f.
- Hochspringen nach:a b “Legal Tech” – eine Bestandsaufnahme. (bucerius-education.de, abgerufen am 24. Januar 2017).
- Roland Vogl: Warum die Zukunft sich Zeit lässt. In: Die neuen Juristen (Legal Tribune Online Sonderausgabe 2016). Wolters Kluwer, 2016, S. 6, 8.
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- Christian Veith, Michael Bandlow, Michael Harnisch, Hariolf Wenzler, Markus Hartung und Dirk Hartung: How Legal Technology Will Change the Business of Law. Hrsg.: Boston Consulting Group, Bucerius Law School. 2016, S. 5.
- Ingo Mahl: Automatisierung, Kollaboration und ein bisschen Dating. In: Die neuen Juristen (Legal Tribune Online Sonderausgabe 2016). Wolters Kluwer, Köln 2016, S. 12, 14.
- LTO: Legal Tech für Studenten: Mehr Computer auf den Campus. In: Legal Tribune Online. (lto.de, abgerufen am 24. Januar 2017).
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- NJW-aktuell 48/2017, S. 15: Die Legal-Tech-Expo.
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- LTO: Neuer Branchenverband will Legal Tech stärken. In: Legal Tribune Online. (lto.de, abgerufen am 20. April 2017).
- Daniel Mattig und Nico Kuhlmann: Reform des Jurastudiums: Lernen ohne Zukunft. In: Legal Tribune Online. (lto.de, abgerufen am 8. Mai 2017).
Quellen
- https://de.wikipedia.org/wiki/Legal_Technology, zuletzt abgerufen am 02.04.2019
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