Im österreichischen Rechtssystem wird der Begriff „Präjudizien“ zwar verwendet, doch hat er keine verbindliche rechtliche Bedeutung wie in anderen Rechtssystemen, beispielsweise im angloamerikanischen. In Österreich dienen Präjudizien vielmehr als Orientierung oder Richtschnur für zukünftige Entscheidungen, insbesondere für Gerichte derselben oder niedrigerer Instanzen. Das bedeutet, dass Gerichte in Österreich zwar die Entscheidungen höherer Instanzen (insbesondere des Obersten Gerichtshofs, OGH) berücksichtigen sollen, diese aber nicht zwangsläufig befolgen müssen.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass die österreichische Rechtsordnung auf kodifiziertem Recht basiert, d.h., Gesetze sind die primäre Rechtsquelle. Richter sind gehalten, Gesetze anzuwenden und auszulegen, und Präjudizien haben lediglich eine unterstützende Funktion. Die Bedeutung von Präjudizien liegt daher vor allem in der Konsistenz und Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung, da ähnlich gelagerte Fälle tendenziell ähnlich entschieden werden sollen. Dies fördert die Rechtssicherheit und das Vertrauen der Bürger in das Justizsystem.
Ein weiterer Faktor ist, dass der Oberste Gerichtshof durch seine Entscheidungen oft zur Klärung und Fortentwicklung des Rechtes beiträgt. Hat der OGH ein Grundsatzurteil gefällt, werden untergeordnete Gerichte dazu tendieren, sich an dieser Entscheidung zu orientieren, um Divergenzen zu vermeiden. Dennoch: Ein Prinzip der Bindungswirkung, wie es zum Beispiel in den USA existiert, ist in Österreich nicht gegeben.
Außerdem sind Richter in Österreich durch Artikel 87 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) in ihrer Entscheidungsfindung unabhängig. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie die vorherige Rechtsprechung völlig ignorieren können, so sie beachten sie oftmals im Sinne einer kohärenten und konsistenten Rechtsordnung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Präjudizien im österreichischen Recht eine nicht-bindende, aber doch bedeutende Rolle spielen, indem sie zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung beitragen und als wichtige Auslegungshilfen dienen. Trotz ihrer Nicht-Bindungswirkung stellen sie ein wesentliches Instrument zur Sicherstellung von Kohärenz und Rechtssicherheit dar.