Im österreichischen Recht bezieht sich der Begriff der „prinzipalen Normenkontrolle“ auf das Verfahren, in dem Rechtsnormen durch den Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Prinzipale Normenkontrolle bedeutet, dass nicht nur im konkreten Fall austretende Normen überprüft werden (konkrete Normenkontrolle), sondern dass auch eine abstrakte Überprüfung von Gesetzen, Verordnungen oder anderen Normen ohne konkreten Anlassfall angesprochen werden kann. In Österreich ist das System jedoch generell so gestaltet, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit in erster Linie durch konkrete Normenkontrolle im Rahmen von Individualbeschwerden oder durch Anträge zuständiger Organe, wie Gerichten, erfolgt.
Gemäß Art. 139 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) kann der Verfassungsgerichtshof Verordnungen von Verwaltungsbehörden wegen Verfassungswidrigkeit aufheben. Die prinzipale Normenkontrolle kommt hier allerdings gegenüber Verordnungen und Landesgesetzen zum Tragen. Eine Bundesverfassungsgesetzliche Grundlage für die prinzipale Normenkontrolle bei Bundesgesetzen durch den Verfassungsgerichtshof, ohne verbundenen konkreten Anlass, existiert nicht im klassischen Sinne wie etwa in Deutschland mit dem Normenkontrollverfahren. In Österreich legt jedoch Art. 140 B-VG fest, dass Gesetze vom Verfassungsgerichtshof überprüft werden können, ob sie verfassungswidrig sind. Diese Überprüfung erfolgt häufig auf Antrag des Obersten Gerichtshofes, eines der Oberlandesgerichte, des Verwaltungsgerichtshofes, von Landesverwaltungsgerichten oder auch direkt durch ein Individualantragsverfahren.
Zusätzlich existiert in der österreichischen Rechtsordnung der Art. 138 B-VG, der die Möglichkeit eröffnet, Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen untergeordneten Rechtserzeugungen hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit zu klären. Die prinzipale Normenkontrolle ist demnach stark anwendungsbezogen und knüpft oft an konkrete Verfahren und Fälle an, in denen Zweifel an der Verfassungskonformität einer Norm aufkommen.
Ein weiteres Element der Normenkontrolle ist die Möglichkeit der Individualbeschwerde, bei der Einzelpersonen geltend machen können, durch eine potenziell verfassungswidrige Norm in ihren Rechten verletzt zu sein. Dies bringt die prinzipale Normenkontrolle häufig im Rahmen eines konkreten Anwendungsfalls zur Geltung, spiegelt aber den Mechanismus wider, der in abstrakteren Überprüfungen verwurzelt ist. So ist es möglich, dass der Verfassungsgerichtshof in einem solchen Verfahren eine Norm als verfassungswidrig aufhebt, was zu einer generellen Wirkung dieser Entscheidung führt und über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat.
Insgesamt ist die prinzipale Normenkontrolle in Österreich vor allem durch die institutionellen Gegebenheiten und Verfahren des Verfassungsgerichtshofes sowie der vor ihm zulässigen Antragsarten strukturell eingebunden in die konkret anlassfallbezogene verfassungsrechtliche Systematik.