Verfassungsrecht

Als Verfassungsrecht wird in der allgemeinen Staatslehre, Politikwissenschaft und Verfassungsvergleichung die Lehre von den rechtlichen Grundlagen eines Staates beziehungsweise von Staaten untereinander bezeichnet. Hierzu zählt vor allem die Lehre von der Organisation des Staates. Regelmäßig sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen in einer Verfassungsurkunde (Verfassung im formellen Sinne) niedergelegt; als Staat ohne geschriebene Verfassung, d. h. lediglich mit einer Verfassung im materiellen Sinn ist das Vereinigte Königreich zu nennen.

Unter der Bundesverfassung der Republik Österreich wird juristisch die Gesamtheit aller Verfassungsgesetze und -bestimmungen des Bundesrechtes verstanden. Die zentralen Bestimmungen des Bundesverfassungsrechtes enthält das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), das im Allgemeinen gemeint ist, wenn von der Verfassung gesprochen wird. Neben ihm stehen auch noch zahlreiche andere Gesetze (Bundesverfassungsgesetze) oder einzelne Gesetzesbestimmungen (im jeweiligen Gesetz als Verfassungsbestimmung bezeichnet) sowie einzelne Staatsverträge im Verfassungsrang. Diese Zersplitterung des österreichischen Bundesverfassungsrechts führt zu großer Unübersichtlichkeit. Zu beachten ist weiters, dass sich die Verfassungsregeln, wo nicht explizit ausgeschlossen, auf Menschen jeder geschlechtlichen Zuordnung beziehen, auch wenn im konkreten Fall oft nur die männliche Form (z. B. der Bundespräsident) aufscheint.

Grundprinzipien der Bundesverfassung

In der juristischen Diskussion stehen die Grundprinzipien auf der höchsten Rechtsstufe. Ihre Definition ist wichtig, um abschätzen zu können, was unter einer „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ zu verstehen ist. Für eine Gesamtänderung ist sowohl eine Zweidrittelmehrheit im Parlament als auch eine Volksabstimmung verpflichtend nötig (Obligatorische Volksabstimmung). Nachdem der Verfassungsgesetzgeber zu keinem Zeitpunkt festgelegt hat, was unter einer Gesamtänderung zu verstehen ist, haben rechtswissenschaftliche Lehre und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung die Grundprinzipien der Bundesverfassung entwickelt, um bei deren tiefgreifender Berührung, Veränderung oder Abschaffung eine Gesamtänderung annehmen zu können.

Die Grundprinzipien, Baugesetze oder auch Leitenden Prinzipien der Bundesverfassung werden von verschiedenen Lehrbuchautoren, dem Verfassungsgerichtshof und in rechtswissenschaftlichen Fachbeiträgen unterschiedlich definiert. In aller Regel werden aber folgende Grundprinzipien allgemein anerkannt:

Das demokratische Prinzip

Das demokratische Prinzip betrifft die Frage der Herrschaftsform und der politischen Willensbildung. Die politische Macht in der Gesellschaft wird durch das Volk legitimiert. Dieser Grundsatz ist im Artikel 1 des B-VG verankert: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Besonders wichtig ist hier auch Art. 26 B-VG, er garantiert das allgemeine und geheime Wahlrecht. Österreich ist eine repräsentative Demokratie, deshalb gibt es eine Reihe von Instrumentarien:

  1. der direkten Demokratie (= Selbstbestimmung durch Wahl), dazu gehören VolksbegehrenVolksbefragung und Volksabstimmung,
  2. der indirekten Demokratie (= Wahl von Repräsentanten), welche durch die Art. 42–49 B-VG (Nationalrat ist zentrales Organ der Gesetzgebung) und durch Art. 140 B-VG (Verfassungsgerichtshof prüft Gesetze auf ihre demokratische Rechtmäßigkeit) garantiert sind.

Das republikanische Prinzip

Das republikanische Prinzip betrifft die Staatsform, die im Gegensatz zur Monarchie kein ererbtes oder von Aristokraten gewähltes politisches Spitzenmandat vorsieht. Im Fall einer demokratischen Republik muss die Spitzenfunktion des Staates von einem oder mehreren direkt oder indirekt auf Basis des allgemeinen Wahlrechts gewählten Mandataren ausgeübt werden; im Falle Österreichs ist das der Bundespräsident. Die Erblichkeit des Amtes des Bundespräsidenten in Österreich verhindert Art. 60 B-VG (Direktwahl des Bundespräsidenten). Das republikanische Prinzip ist in der Verfassung verankert: Gemäß Art. 1 B-VG ist Österreich eine demokratische Republik. In der Frühphase der Republik Österreich stand das republikanische Prinzip noch nicht aufgegebenen Herrschaftsansprüchen des Hauses Habsburg gegenüber, gegen die sich die Republik mit dem Habsburgergesetz absicherte.

Das bundesstaatliche Prinzip

Das bundesstaatliche Prinzip betrifft den Föderalismus. Österreich ist weder ein Staatenbund noch ein Einheitsstaat. Das Verhältnis der Bundesländer zueinander und zum Bundesstaat wird durch innerstaatliches Recht, nicht durch Völkerrecht geregelt. Dieses Prinzip ist in Artikel 2 Absatz 1 des B-VG verankert: „Österreich ist ein Bundesstaat.“

Jede Materie der Gesetzgebung oder Vollziehung ist in den Artikeln 10-15 B-VG („Kompetenzartikel“) entweder dem Bund oder den Bundesländern zugeordnet. Eine konkurrierende Gesetzgebung wie in Deutschland ist der österreichischen Verfassungsordnung fremd.

Rechtstechnisch wird vom „dualen System von Enumeration und Generalkompetenz“ gesprochen: alle staatlichen Befugnisse in Gesetzgebung und Vollziehung liegen bei den Bundesländern (Generalkompetenz), nur genau aufgezählte Kompetenzen (Enumeration) in Gesetzgebung und/oder Vollziehung werden vom Bund wahrgenommen. Diese Aufzählung ist freilich so umfangreich, dass in der Praxis nur wenige Materien in der Gesetzgebung den Ländern überlassen werden; der Föderalismusgedanke ist, was die Gesetzgebung betrifft, in Österreich eher schwach ausgeprägt. Wichtig ist hingegen die Funktion der Bundesländer in der Vollziehung der Gesetze.

Zu den bedeutendsten Materien, in denen Gesetzgebung und Vollziehung Landessache sind, gehören unter anderem das Baurecht, die örtliche Sicherheitspolizei, Feuerpolizei, Naturschutz, Sportrecht, Jagd- und Fischereirecht, Veranstaltungsrecht, insbesondere Theater- und Lichtspielwesen, sowie naturgemäß das Dienstrecht der Landes- und Gemeindeangestellten.

In einigen Materien hat der Bund nur die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung, während die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung den Bundesländern zukommt; so zum Beispiel im Armenwesen, der Jugendfürsorge oder dem Elektrizitätswesen.

Eine wichtige Gruppe von Kompetenzen schließlich betrifft die Vollziehung von Bundesrecht durch die Länder: Obwohl die Gesetzgebung hier Sache des Bundes ist, erfolgt die Vollziehung unmittelbar durch Landesbehörden, die – anders als im Regelfall der mittelbaren Bundesverwaltung, wo Landesbehörden funktional als Bundesbehörden agieren, und auch an Weisungen der Bundesorgane (meist Minister) gebunden sind – hier „im eigenen Namen“ agieren. Beispiele hierfür sind das Staatsbürgerschaftsrecht oder die Angelegenheiten der Straßenpolizei.

Das rechtsstaatliche Prinzip

Das rechtsstaatliche Prinzip betrifft die Herrschaft des Rechts, insbesondere das Legalitätsprinzip und das Prinzip der Gewaltentrennung. Das Legalitätsprinzip findet sich in Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG: „Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden.“ Weiters garantiert der „Stufenbau der Rechtsordnung“ durch Erzeugungs- und Prüfverfahren, dass Gesetze rechtmäßig entstanden sind. Diese Gesetze werden nochmals durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) auf ihre Verfassungsmäßigkeit (einschließlich rechtmäßiges Entstehen) überprüft, dies allerdings nur dann, wenn er – etwa in einem Beschwerdeverfahren – seiner Entscheidung ein seiner Auffassung nach verfassungswidriges Gesetz zugrunde legen müsste.

Dieses Ansinnen kann durch den Beschwerdeführer durch Anbringen einer Bescheidbeschwerde (gem. Art. 144 Abs. 1 B-VG) erreicht werden. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit einen Individualantrag (gem. Art. 140 Abs. 1 4. Satz B-VG) beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Außerdem können Bundesgesetze von einer Landesregierung und Landesgesetze von der Bundesregierung zur Prüfung auf deren Verfassungsmäßigkeit dem VfGH vorgelegt werden (gem. Art. 140 Abs. 1 2. Satz B-VG).

Das liberale Prinzip

Das liberale Prinzip besagt, dass dem staatlichen Handeln Grenzen gesetzt sind, um für die Bürger ein gewisses Ausmaß an Freiraum gewährleisten zu können. Dies garantieren die Grundrechtskataloge – dies sind das Staatsgrundgesetz von 1867; die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) und deren Zusatzprotokolle; das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit; das Gesetz zum Schutz des Hausrechtes; uvm. In ihm sind gewisse „Abwehrrechte“ verankert zum Beispiel Schutz vor willkürlicher Festnahme, Schutz der Meinungsfreiheit, Schutz vor Hausdurchsuchungen etc.

Das Prinzip der Gewaltentrennung

Das Prinzip der Gewaltentrennung besteht aus der Gewaltentrennung im formellen Sinn, der Gewaltentrennung im organisatorischen Sinn und der Gewaltentrennung im materiellen Sinn und wurde zur Prävention von Machtkonzentration bei einer der drei Staatsgewalten eingeführt. Im funktionellen Sinn bedeutet die Gewaltentrennung, dass es eine Legislative (gesetzgebende Körperschaft), eine Judikative (richtende Körperschaft) und eine Exekutive (verwaltende und ausführende Körperschaft) gibt, denen bestimmte Aufgaben zugewiesen werden. Die Gewaltentrennung im organisatorischen Sinn bestimmt, dass es bestimmte Organe innerhalb der einzelnen Körperschaften gibt, die von Personen besetzt werden (so besteht beispielsweise das Organ des Bundespräsidenten, das von einer vom Staatsvolk auf sechs Jahre gewählten Person bekleidet wird). Die Gewaltentrennung im materiellen Sinn ist die Zuteilung von bestimmten Aufgaben und Kompetenzen auf bestimmte Organe.

Dennoch bestehen zwischen den im Ideal „getrennten Gewalten“ Verflechtungen durch Ernennungs- und Abberufungsrechte, Mitwirkungsrechte und Kontrollrechte. So ernennt der Bundespräsident beispielsweise die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofs (VfGH). Das Vorschlagsrecht hingegen teilt sich auf die Bundesregierung (Vorschlagsrecht Präsident und Vizepräsident des VfGH und Nominierung von sechs Verfassungsrichtern und drei Ersatzmitgliedern) und auf den Nationalrat und den Bundesrat auf (Vorschlagsrecht der weiteren sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder). Weiters kann der Bundespräsident den Nationalrat auf Vorschlag der Bundesregierung auflösen. Er bedarf aber wiederum der Zustimmung des Nationalrats, um bestimmte Staatsverträge abschließen zu können. Außerdem muss er sich dem Bundesvolk verantworten und kann von diesem durch Volksabstimmung abgesetzt werden. Dieses System der Trennung und Verbindung der Staatsgewalten zugleich wird checks and balances genannt.

Die österreichische Bundesverfassung ist von den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltentrennung geprägt. Das föderalistische Prinzip ist relativ schwach ausgebildet, wie dies schon seit der Regierungszeit Maria Theresias sowie im Kaisertum Österreich bzw. in Cisleithanien der Fall war. Die einzelnen Bundesländer verfügen über keine Kompetenzen im Bereich der Judikative. Auch im Bereich der Gesetzgebung hat der Bund ein deutliches Übergewicht. Dem gegenüber wird ein Großteil der staatlichen Verwaltung von den Ländern vollzogen.

Grundrechte & Staatsziele

Grundrechte

Die Grundrechte der Bundesverfassung sind großteils nicht im B-VG selbst normiert. Da sich die Konstituierende Nationalversammlung 1920 beim Entwurf des B-VGs nicht auf einen entsprechenden Grundrechtskatalog einigen konnte, übernahm man kurzerhand die Regelungen des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger in den Verfassungsbestand, wie es bis Ende Oktober 1918 in allen Ländern Cisleithaniens gegolten hatte.

Dort sind etwa die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, die Freizügigkeit der Person und des Vermögens innerhalb des Staatsgebietes, die Vereins-, Versammlungs- und Pressefreiheit, der Schutz des Hausrechts, des Eigentums, des Briefgeheimnisses, Religionsfreiheit, Erwerbsfreiheit und ähnliche liberale Grundrechte normiert. Auch einige andere Gesetze der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder wurden übernommen, etwa das bis 1990 in Kraft gestandene Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit oder das Gesetz zum Schutz des Hausrechtes.

Auch wenn das B-VG keinen Grundrechtskatalog enthält, tragen einige Bestimmungen „grundrechtsähnlichen Charakter“. Beispiele hierfür sind der Gleichheitsgrundsatz in Art. 7 Abs. 1 B-VG, das Recht auf den gesetzlichen Richter in Art. 83 Abs. 2 B-VG oder die Abschaffung der Todesstrafe in Art. 85 B-VG, die heutzutage als Recht auf Leben gelesen wird.

In der Folgezeit kamen weitere Grundrechte hinzu. So sind etwa im Staatsvertrag von 1955 einschlägige Bestimmungen enthalten. Die Europäische Menschenrechtskonvention trat in Österreich 1958 in Kraft. Sie steht in Verfassungsrang und ist durch Behörden unmittelbar anwendbar. Aus dieser entspringt eine Reihe von Grundrechten, etwa das Recht auf Lebennulla poena sine lege („Keine Strafe ohne Gesetzesbestimmung“) gemäß Art. 7 EMRK oder das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK.

Weitere Grundrechte wurden in der Folgezeit durch Verfassungsgesetze oder Verfassungsbestimmungen in einfachen Gesetzen eingeführt. Beispiele hierfür sind etwa das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit von 1988 (siehe Abschnitt Entwicklung 1945–1994), das Recht auf Datenschutz im Datenschutzgesetz oder das Recht auf Zivildienst im Zivildienstgesetz.

Staatssziele

Staatszielbestimmungen in der österreichischen Bundesverfassung

  • dauernde Neutralität,
  • Verbot nazistischer Tätigkeiten (seit 1955),
  • der Rundfunk als öffentliche Aufgabe (seit 1974),
  • die umfassende Landesverteidigung (seit 1975),
  • der umfassende Umweltschutz (seit 1984),
  • die Gleichbehandlung von Behinderten (seit 1997),
  • die Gleichstellung von Mann und Frau (seit 1998).

Ebenfalls gelten seit 2013 folgende aktualisierte Staatsziele, für deren Gewährleistung die Republik (Bund, Land und Gemeinden) zuständig ist:

  • Nachhaltigkeit,
  • Tierschutz,
  • umfassender Umweltschutz,
  • Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung,
  • Forschung.

Neue Bestimmungen & Änderungen

Kreation von Verfassungsbestimmungen

Verfassungsgesetze können nur mit qualifizierter Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten des Nationalrats bei Anwesenheit mindestens der Hälfte der Abgeordneten beschlossen und geändert werden (Art. 44 B-VG). Verlangt ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates eine Volksabstimmung über diese Teiländerung, so muss diese vor Beurkundung durch den Bundespräsidenten durchgeführt werden (Art. 44 B-VG).

Gesamtänderung

Tief greifende Änderungen der Verfassung, die die Grundprinzipien maßgeblich berühren, werden als Gesamtänderung der Bundesverfassung bezeichnet. Diese Änderungen müssen zusätzlich zum oben beschriebenen Verfahren durch eine Volksabstimmung bestätigt werden.

Bislang gab es nur eine rechtskonforme „Gesamtänderung“ der Bundesverfassung. Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union stellte nach herrschender Ansicht eine tief greifende Änderung der Bundesverfassung dar. Es wurde daher ein eigenes Beitrittsverfassungsgesetz beschlossen. Dieses wurde in einer Volksabstimmung von den österreichischen Wahlberechtigten bestätigt und konnte daher in Kraft treten.

Ebenso als (diesmal rechtswidrige) Gesamtänderung der Bundesverfassung beurteilt der österreichische Verfassungsgerichtshof § 126a des Bundesvergabegesetzes in der Fassung von 2001, das Teile des Landes-Verfahrensrechts der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzog und somit einen schweren Eingriff in das rechtsstaatliche Prinzip dargestellt habe. Da über diese Gesamtänderung keine Volksabstimmung abgehalten wurde, war sie verfassungswidrig und wurde daher vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.

Reform der Verfassung

2003 wurde von der Regierung (Kabinett Schüssel II) der so genannte „Verfassungskonvent“ oder „Österreich-Konvent“ (offizielle Bezeichnung) unter der Leitung des damaligen Rechnungshofpräsidenten Franz Fiedler eingesetzt, der die gültige Verfassung „entrümpeln“ soll. Der Konvent hatte den Auftrag, die Bundesverfassung den neuen Gegebenheiten, die sich im Lauf der Jahrzehnte – vor allem seit dem Beitritt zur EU – ergeben haben, anzupassen und Vorschläge für eine neue Verfassung zu erarbeiten. Er endete am 31. Jänner 2005, ohne formal das gesteckte Ziel erreicht zu haben. Es liegt zwar ein Verfassungsentwurf vor, doch wurde dieser von Franz Fiedler anhand der Ergebnisse der Konventsarbeit verfasst, vom Plenum des Konvents jedoch nicht konsentiert. Vor allem von Seiten der ÖVP wird dieser Entwurf als geeigneter Ausgangspunkt für weitere Bemühungen angesehen, im österreichischen Parlament (wie verfassungsrechtlich vorgesehen) eine neue Verfassung (oder auch nur eine „große Verfassungsnovelle“) zu erarbeiten.

Verfassung und Tagespolitik

In Österreich können auch einfache Gesetzesmaterien in den Verfassungsrang gehoben werden. In einem solchen Fall müssen die entsprechenden Paragraphen ausdrücklich als Verfassungsbestimmung bezeichnet sein und mit Zweidrittelmehrheit wie ein Verfassungsgesetz beschlossen werden. Von dieser Möglichkeit wurde in der Zweiten Republik vor allem von der großen Koalition, die meistens die notwendige Zweidrittelmehrheit hatte, oft Gebrauch gemacht, vor allem um Bestimmungen, die dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung offensichtlich widersprechen, dem Zugriff des Verfassungsgerichtshofs zu entziehen und um für zukünftige Regierungen eine Änderung zu erschweren (siehe oben: „Einschleifregelung“ für Frauenpensionen im Abschnitt Entwicklung 1945–1994 bzw. Bundesverfassungsgesetz 2008).

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