Eine der zentralen Aufgaben des Verfassungsgerichtshofes ist die Entscheidung darüber, ob Bundes- oder Landesgesetze der Verfassung entsprechen. Hält er ein Gesetz (eine gesetzliche Bestimmung) für verfassungswidrig, so hat er es (sie) aufzuheben.
Hat der Verfassungsgerichtshof Bedenken, dass eine Gesetzesbestimmung, die er in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte, verfassungswidrig sein könnte, so leitet er von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren ein; dies geschieht durch einen so genannten Prüfungsbeschluss. Haben der Verwaltungsgerichtshof, ein Verwaltungsgericht oder ein ordentliches Gericht Zweifel, ob eine in einem bei ihnen anhängigen Verfahren anzuwendende Gesetzesbestimmung verfassungsmäßig ist, sind sie verpflichtet, einen Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Weiters entscheidet der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzesbestimmungen auf Antrag einer Person, die behauptet, unmittelbar durch diese in ihren Rechten verletzt zu sein, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die Person wirksam geworden ist (Individualantrag), sowie (seit 1.1.2015) auf Antrag einer Person, die behauptet, als Partei eines in erster Instanz entschiedenen Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein, aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des ordentlichen Gerichts (Parteiantrag).
Unabhängig von einem konkreten Fall sind folgende Organe berechtigt, einen Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen („abstrakte Normenkontrolle“):
- die Bundesregierung in Bezug auf Landesgesetze
- Landesregierungen in Bezug auf Bundesgesetze
- ein Drittel der Abgeordneten zum Nationalrat oder ein Drittel der Mitglieder des Bundesrates in Bezug auf Bundesgesetze
- ein Drittel der Abgeordneten eines Landtages in Bezug auf Landesgesetze (wenn die Landesverfassung dies vorsieht; dies ist in allen Bundesländern außer in Niederösterreich der Fall)
Die Entscheidung lautet im stattgebenden Fall auf Aufhebung der für verfassungswidrig erkannten Bestimmung oder – wenn diese bereits außer Kraft getreten und das Gesetzesprüfungsverfahren aus Anlass eines konkreten Falles eingeleitet worden ist – auf Feststellung, dass sie verfassungswidrig war. Kommt der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung, dass die geltend gemachten Bedenken nicht zutreffen, so wird – je nach Fallkonstellation – der Antrag abgewiesen bzw. in einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren ausgesprochen, dass die Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird (oder diese nicht verfassungswidrig war). Stehen einer inhaltlichen Erledigung prozessuale Gründe entgegen, lautet die Entscheidung auf Zurückweisung des Antrages bzw. Einstellung des amtswegig eingeleiteten Verfahrens.
Die Aufhebung einer Gesetzesbestimmung ist vom Bundeskanzler bzw. vom Landeshauptmann unverzüglich kundzumachen. Die Aufhebung der Rechtsvorschrift wird für den Einzelnen grundsätzlich um 24.00 Uhr jenes Tages wirksam, an dem sie im Bundes- oder im jeweiligen Landesgesetzblatt kundgemacht wird. Der Verfassungsgerichtshof kann eine Aufhebung allerdings auch mit einer „Reparaturfrist“ versehen. Dies geschieht, wenn die sofortige Aufhebung zu schwer wiegenden praktischen Problemen führen würde. Der Gesetzgeber hat dann Zeit, bis zum Ablauf dieser Frist eine neue Lösung zu erarbeiten. Bis dahin bleibt die aufgehobene Bestimmung wirksam. Der Gerichtshof kann auch festlegen, dass eine aufgehobene Bestimmung „nicht mehr anzuwenden“ ist („rückwirkende Aufhebung“). Das bedeutet: Behörden und Gerichte dürfen auch bei der Beurteilung eines Falles, der sich vor Aufhebung dieser Bestimmung ereignet hat, diese Bestimmung nicht mehr anwenden.
Im Anlassfall ist die aufgehobene Bestimmung keinesfalls mehr anzuwenden.
Rechtsgrundlagen: Art. 140 B-VG; §§ 62 bis 65a VfGG