Bei der Verkehrssitte handelt es sich um ungeschriebene Rechtsgrundsätze, die sich im Rechtsverkehr bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften herausgebildet haben und zur Auslegung und Ergänzung von Verträgen und Erklärungen (§§ 863, 914 f ABGB, § 346 UGB) herangezogen werden, unabhängig davon, ob sie den Parteien bei Vertragsschluss bekannt waren. Treten also nach dem Abschluss einer Vereinbarung Unstimmigkeiten auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden, ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zweckes sowie unter Heranziehung der Verkehrssitte zu prüfen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien für diesen Fall vereinbart hätten (ergänzende Vertragsauslegung).Die gefestigte Verkehrssitte ist auch im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB zu berücksichtigen, sofern sie mit Treu und Glauben und der berechtigten Bewertung der im konkreten Fall zu berücksichtigenden Interessen zu vereinbaren ist. Die Verkehrssitte stellt – im Gegensatz zur Verkehrsanschauung – ein tatsächlich geübtes Verhalten dar.
Auslegung von Rechtsgeschäften und Verträgen nach §§ 914, 915 ABGB
Rechtsgeschäfte bestehen aus Willenserklärungen iSd § 863 ABGB. Bei der Auslegung von Rechtsgeschäften und Verträgen geht es daher vornehmlich – wenn auch nicht ausschließlich – um die Auslegung von Willenserklärungen, sei es einer, beider oder mehrerer Partei/en. – Es ist aber nicht immer einfach zB die wahre Absicht der Vertragsparteien zu erforschen. Die interpretative Suche nach der Parteienabsicht kann sich dabei auch nicht immer nur am Willen des/r Erklärenden orientieren. Bei entgeltlichen Verträgen hat sich die Auslegung vielmehr an der Verkehrsauffassung, der Verkehrssitte auszurichten, was nichts anderes bedeutet, als dass es nicht immer nur auf den Erklärungswillen oder den Erklärungswortlaut ankommt, sondern auch objektive Verkehrsschutzinteressen für die Auslegung eine Rolle spielen; sog Vertrauenstheorie.